Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
sie doch nur ein Mensch gewesen, der Fakten ignorieren konnte. Aber es war ihr unmöglich, Unkenntnis vorzutäuschen.
    Kaum war ihr die Idee gekommen, mutierte sie schon zu einem Krokodil, das seine Beute zu Tode schleuderte. Denn plötzlich bekam sie Angst, dass Dallas wirklich gefährlich war.
    Sie stieg aus dem Wagen, ging zur Wache und zog die Tür auf. Abgesehen von ein paar Beamten in Uniform, die hin und her liefen, war es drinnen leer.
    Am Empfangstisch feilte sich Helen gerade die pinkfarbenen Nägel. Sie blickte auf. »Hey, Winona.«
    »Hey. Ist Sheriff Bailor da? Ich würde ihn gerne sprechen.«
    »Na klar. Du hast doch einen Termin, oder? Er ist in seinem Büro. Geh einfach durch.«
    Winona eilte durch den Flur bis zum Büro von Sheriff Albert Bailor, der gerade frühstückte.
    »Hey, Winona«, begrüßte er sie und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Setz dich.«
    Sie verzichtete auf Begrüßungsfloskeln. Small Talk war noch nie ihre Stärke gewesen. »Ich möchte jemanden überprüfen lassen.«
    »Den Indianer?«
    »Genau.«
    »Hab ich schon erledigt, als Vivi ihn geheiratet hat. Ehrlich gesagt habe ich dich früher erwartet.« Er verließ sein Büro und kam kurz darauf mit einer Akte zurück, die er vor sich auf den Schreibtisch legte. »Ich komm gleich wieder. Ruf der Natur.«
    Kaum war er gegangen, schlug Winona die Akte auf.
    Dallas Raintree, DOB   0 5 / 0 5 / 6 5 .
    Sie überflog sein polizeiliches Führungszeugnis, sah Anzeigen, Verhaftungen, Verurteilungen. Er hatte fast ein Dutzend Vorstrafen wegen Diebstahls und Hehlerei, zwei Anklagen wegen tätlichen Angriffs, die abgewiesen wurden, eine Verurteilung wegen tätlichen Angriffs und Körperverletzung und ein paar wegen illegalen Waffenbesitzes. Es gab einen Hinweis, dass seine Jugendstrafakte auf gerichtliche Anordnung unter Verschluss gehalten wurde und dass mehrfach psychiatrische Gutachten von ihm erstellt worden waren. Offenbar war er bei seinem ersten Gutachten noch nicht strafmündig gewesen.
    »Heilige Scheiße«, entfuhr es Winona.
    »Du sagst es«, bemerkte Al, der gerade ins Büro zurückkam und die Glastür hinter sich schloss.
    Winona sah ihn an. »Was bedeutet das alles?«
    Al nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. »Ich deute es so, dass dein Schwager ein Mann mit mangelnder Selbstbeherrschung und mangelndem Respekt vor dem Gesetz ist. Außerdem ist irgendwas Übles passiert, als er noch jung war. In dieser Akte gibt es jede Menge psychiatrische Gutachten. In einigen davon heißt es, er sei labil.« Al lehnte sich zurück. »Man sagt, du hättest ihn eingestellt. Von dir hätte ich allerdings erwartet, dass du vorher seinen Hintergrund überprüfst.«
    Sie biss die Zähne zusammen. »Was kann ich jetzt tun?«
    »Jetzt?« Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt ist er mit deiner Schwester verheiratet, Win. Da kannst du nichts mehr tun.«
    »Ist er gefährlich?«
    Al sah sie an. »Unter bestimmten Voraussetzungen sind wir das alle. Du musst ihn nur im Auge behalten.«
    »Das werde ich«, versprach Winona.
    Ende November wehte eisiger Wind über den Hood Canal und peitschte das normalerweise ruhige Wasser auf, bis es weiß schäumte. Wellen schlugen gegen die Beton- und Steinwände des Ufers; zischend überspülten sie gepflegte Ufergrundstücke, bis der grüne Rasen braun wurde. Schlagartig verschwanden die Vögel und mit ihnen das Morgen- und Abendgezwitscher. Die nackten Bäume zitterten vor Kälte, nachdem der Wind ihnen auch die letzten bunten Blätter entrissen hatte. Die lagen jetzt in dunklen glitschigen Haufen in den Gräben am Straßenrand.
    Die Touristen blieben aus, als hätte ein Memo die trendige East Side erreicht. Auf dem Kanal war kein Boot mehr zu sehen, kein Motorengebrumm mehr zu hören. Die mobilen Slip-Anlagen wurden für den Winter abgebaut und die festen geschlossen, ihre Wasseranschlüsse abgestellt und abgedeckt. An der gesamten Küste wurden die Grillgeräte von den Terrassen gezogen und für die Wintermonate in die Garagen gestellt; auch die Töpfe mit den nicht winterharten Pflanzen kamen in ihr Winterquartier. Ohne die Sonne wirkte alles trist, vor allem, wenn es regnete. Und jetzt regnete es fast stän dig. Es war kein heftiger Niederschlag, sondern ein feiner, gleichmäßiger Nieselregen. Einen Tag nach Thanksgiving trafen sich die Mitglieder der Jugendgruppe und ihre Familien in Water’s Edge, um Kränze zu flechten. Das war schon seit Jahren Tradition. Vivi Ann war von Anfang an dabei

Weitere Kostenlose Bücher