Das Geheimnis der sieben Palmen
zurück. Ich bin auch nur ein Mensch, entschuldigte er sich, bin einfach umgefallen!
Wenn sie in der Nacht gestorben ist – keiner kann mich deswegen anklagen! Die Müdigkeit war stärker als ich.
Aber Evelyn lebte!
Sie lag mit offenen Augen regungslos unter ihren Decken und blickte ihm entgegen. Das Fieber war sichtbar zurückgegangen, man sah es ihr an. Ihr Blick hatte zwar noch etwas von dem unnatürlichen Glanz, war aber dennoch klarer und bewußter als am vergangenen Abend.
»Guten Morgen, Baby!« rief Sempa mit ehrlicher Freude. Mein Gott, sie lebt, sie lebt! »Wie ich sehe, kriechst du millimeterweise dem Totengräber von der Schippe! Nur immer weiter so, Mädchen! – Schmerzen?«
»Ich kann sie ertragen.« Ihre Stimme war auch fester geworden, aber der Ton kam noch immer von tief hinten aus der Kehle. »Ich habe Durst.«
»Frühestens heute Abend bekommst du deinen ersten Schluck. Am-Finger-Lutschen, ist erlaubt. Ich mache ihn nasser als gestern. Geduld, Baby!« Er ließ sich auf dem Hocker neben ihrem Bett nieder und beugte sich über sie. »Jetzt wirst du erst gewaschen und schön gemacht für den Tag. Aber vorher beguckt sich der Onkel Doktor Ari die Operationswunde.«
»Rindvieh!«
»Halleluja! Es geht mit Riesenschritten aufwärts!« Sempa lachte Evelyn fröhlich an. »Wer hätte das gestern morgen noch gedacht?!«
»Wo ist Phil?« fragte sie ganz klar.
Sempa war darauf vorbereitet.
»Er melkt die Kühe. Käse will er machen. Er behauptet, Käse bringt dich wieder zu Kräften. Wenn er das meint … Man soll ihm nie widersprechen. Und außerdem hat er ja immer recht!«
»Er war die ganze Nacht nicht hier.«
»Ich denke, du hast geschlafen?«
»Nicht immer.«
Sempa zuckte zusammen. »Baby, hast du irgendwelchen Blödsinn gemacht? Hast du Wasser getrunken?!« Seine Stimme klang plötzlich besorgt. »Himmel, sag' es mir! Bist du an Wasser herangekommen? Hast du dich aus dem Bett gewälzt und bist herumgekrochen?! Baby?«
Er riß die Decken von ihrem Körper. Gleichzeitig hob sich ihre rechte Hand. Entgeistert starrte Sempa in den Lauf eines Trommelrevolvers. Doch bevor etwas geschehen konnte, reagierte er schnell und fegte die Waffe aus Evelyns Hand. Der Revolver flog gegen die Höhlenwand und schepperte über den Steinboden bis an den Herd. Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie legte die Hände flach über ihre Brüste, als habe Sempa noch nie ihren nackten Körper gesehen, und plötzlich begann sie zu weinen. Das wiederum ließ die Schmerzen in der Tiefe ihres Bauches erneut aufzucken. Ihr Mund öffnete sich in einem stummen Schrei.
»Wo – wo hast du den Revolver her?« fragte Sempa heiser. »Ich habe doch alles abgesucht.« Dabei kontrollierte er den Verband. Er sah gut aus. Nicht durchgeblutet. Auch der typische süßliche Eitergeruch war nicht wahrnehmbar. Er hob die Mullagen auf und betrachtete die Naht. Alles okay. Nichts butterte, wie es die Ärzte nennen. Oh, haben wir ein Glück, dachte er. Wenn das so weitergeht, bekommen wir sie durch.
»Er lag immer unter der Matratze. Unterm Kopf –«, sagte sie und weinte weiter.
»Das hätte ich mir denken können. Natürlich! Du hast recht: Ich bin ein Rindvieh!« Er begann, unter der Matratze zu suchen, und fand – für Evelyn noch unerreichbar – eine Jagdflinte mit verkürztem Lauf. Und einen Dolch.
»Muß euch die Muffe vor Angst zittern!« sagte Sempa und warf die Waffen weg. »Schlafen auf einem ganzen Arsenal! Dabei will der gute Ari nichts als Frieden.«
»Was – was hast du mit Phil gemacht?« fragte sie und hatte nicht die Kraft, ihr Weinen zu unterdrücken.
»Und was hättest du jetzt ohne mich gemacht, he?« Er deckte sie wieder zu und ging zum Herd, um vier Eier in die große Eisenpfanne zu schlagen. Sein Magen knurrte. »Krepiert wärst du! Elend krepiert! Aber was ist der Dank? Sie will ihren Lebensretter erschießen! Ich bin menschlich tief enttäuscht, Baby!«
Die Eier brutzelten in der Pfanne. Sempa schnitt ein paar Streifen Speck dazu und wendete ihn im ausgebratenen Fett ein paarmal mit der Gabel um. Es roch köstlich, aber bei Evelyn erzeugte der Duft Brechreiz.
»Wo ist Phil?« fragte sie mühsam, krampfhaft schluckend.
»In Sicherheit.« Sempa kippte den Inhalt der Pfanne auf einen tiefen Teller und suchte, nach einer Kostprobe, nach Pfeffer und gemahlener Muskatnuß. »Ich mußte ihn isolieren. Er ist der sturste Mensch, den ich kenne. Was hab' ich zu ihm gesagt? Ein Monokeldeutscher! Einer von der ganz
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