Das Geheimnis der sieben Palmen
Leguminosen-Baumes. Sie alle haben eine teuflische Eigenschaft: Sie berauschen, enthemmen, erzeugen Visionen, lassen in dem zerstörten Gehirn neue Welten entstehen, neue Menschen, neue Gestirne. Der vergiftete Mensch vermeint in eine andere Dimension vorzudringen, er begreift sich als der Mittelpunkt dieses aufglühenden neuen Universums und erlebt Szenen von enthemmter Grausamkeit bis zur höchsten Verzückung.
Daran erinnerte sich Phil, als er Sempa mit seinen goldenen Figuren sprechen hörte, als er ihn herumtanzen sah und in sein verzücktes Gesicht blickte. Auch Evelyn begriff, daß Sempa sich immer mehr aus der wirklichen Welt entfernte und hineintauchte in ein Reich der Halluzinationen, aus dem es für ihn kein Entrinnen mehr gab.
»Herbei!« brüllte Sempa. Er schwang einen langen goldenen Stab und ließ die Brustpanzer klingeln. »Da! Da kommt es endlich! Mein Heer der gläsernen Berglöwen! Heran! Heran! Umzingelt die Feinde des Landes! Zerfleischt sie!«
Er hüpfte auf seinen Goldteller-Schuhen zurück zu den sieben Palmen und umtanzte den Stamm, an den er Phil gebunden hatte. Als Evelyn näher schlich, in der Hoffnung, Sempas Wahnsinn verschleiere seinen Blick, und sie könne Phil losbinden, erkannte er sie sehr wohl und schlug mit dem goldenen Stab nach ihr.
»Ich werde ihn zerfleischen lassen!« schrie Sempa. »Zerfleischen!«
Er umklammerte die Palme neben Phil mit Armen und Beinen, sein Mund klaffte, seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Speichel lief ihm über das Kinn, der riesige Körper verfiel in Zuckungen, die immer obszöner wurden und schließlich zu einem ungezügelten, wilden Liebeskampf ausarteten, zu einem brutalen Hineinstoßen in einen imaginären Körper. Dabei brüllte und wimmerte er und weinte sogar, warf aufstöhnend den Kopf weit zurück und umklammerte den Palmenstamm mit einer urhaften Lust.
»Komm!« schrie er. »Du Hure! Du verdammte Hure! Mach dich nicht steif! Ich zertrümmere dich! Der König aller Könige stößt dich in Stücke! Oh, dieses weiße Fleisch! Diese Brüste! Offen mußt du sein … weit offen …« Er preßte seinen Leib gegen den Baum und kratzte mit den Fingernägeln ganze Stücke aus der Rinde.
»Bleib zurück!« rief Phil Evelyn zu. »Komm um Himmels willen keinen Schritt näher!«
Sie stand, das lange Messer noch immer drohend in der Hand, auf der ›Kegelbahn‹ und starrte entsetzt auf die gräßliche Szene.
»Phil, was ist mit ihm los?« schrie sie zurück. »So plötzlich …«
»Bleib stehen!« rief er noch einmal. »Er wird sich selbst vernichten. Er wird nie mehr in unsere Welt zurückkehren! Nicht, solange er den Königsmantel und die Federkrone trägt!«
»Den Mantel …?«
»Die Federn sind mit irgendeinem Gift getränkt worden, das Halluzinationen erzeugt. Solange er den Königsmantel trägt, saugt er bei jedem Atemzug immer mehr von dem giftigen Gas ein.«
»Gas?«
»Das Gift, mit dem die Federn getränkt wurden, verflüchtigt sich als Gas, wenn es mit Luft in Berührung kommt. Das ist die Rache der Inkas. Wer den Mantel des letzten Königs trägt, wird daran zugrunde gehen.«
Sempa stieß sich laut seufzend von der Palme ab. Er taumelte zwischen den Götterfiguren herum, schlug mit dem goldenen Stab nach Evelyn, und dann, plötzlich, stürzte er auf sie zu. Sie warf sich herum und flüchtete landeinwärts. Sempa rannte ihr nach, aber die Goldteller behinderten ihn beim Laufen – so brüllte er, die Arme vorgestreckt, das Gesicht zur Fratze verzerrt, hinter ihr her:
»Komm! Warum läufst du weg?! Es ist eine Ehre, wenn dein König dich begehrt! – Oh, wie dein Körper leuchtet! Wie schön! Wie schön!«
Er blieb ruckartig stehen, während Evelyn einen größeren Vorsprung gewann. Er riß sich die Federkrone vom Kopf und wischte den Schweiß vom Gesicht.
Für ihn, in seiner neuen, visionären Welt, bestand Evelyn aus Glas, aus einem hellschimmernden, violetten Glas. Ein Körper, durchzogen mit gläsernen Röhren, durch die das Blut pulsierte; dessen Herz einer sich ständig öffnenden und wieder schließenden Rose glich, ein gläserner Kopf, dessen Hirn aus blitzenden Kristallen bestand …
Evelyn rannte weiter den Hang hinab und verschwand in dem dichten Buschland bei den Ziegenherden. Einen Augenblick blieb Sempa noch stehen, blickte über die Insel und das Meer, dann ließ er den Königsmantel von seinen Schultern rutschen und kehrte mit schweren Schritten zu den sieben Palmen zurück. Die Goldteller klirrten
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