Das Geheimnis der sieben Palmen
Humanist.«
»Er kann Lateinisch!« brüllte Sempa. »Hörst du das, Eve?! Du bist gerettet! Wenn einer Lateinisch kann, wird er auch operieren können. Und Humanist war er auch! Wie das klingt: Humanist! Das schlägt noch den frechsten Blinddarm in die Flucht!«
Er baute alles auf dem Tisch neben dem Herd auf und überließ es Phil, die Packungen aufzureißen, die man brauchte. Ampullen mit Narkosemitteln waren nicht vorhanden, wohl aber Äther, Ampullen mit Kreislaufmitteln und einige sehr starke Medikamente gegen den Schmerz. Es gab Plastikflaschen mit reinem medizinischen Alkohol, Jodlösungen und sogar je vier Flaschen mit Blutersatz und einer Mischung von Kochsalzlösung und Zellulose. Dazu natürlich Geräte für eine Infusion: Schläuche, Klemmen, Infusionsnadeln, sogar einen Dreiwegehahn.
»Hurra!« brüllte Sempa, der die Kiste weiter auspackte. »Ein dreifaches Hipphipphurra! Baby, jetzt kann gar nichts mehr passieren!« Triumphierend schwenkte er ein dickes Buch. Es hatte auf dem Boden der Kiste gelegen. »Sieh dir das an, Phil: ›Handbuch für ärztliche Notfälle‹! Na, ist das nicht ein Gottesgeschenk? Und so was hatte ich an Bord, ohne es zu wissen! Wetten, da steht auch Blinddarm drin!«
»Schlag auf: Appendektomie«, sagte Hassler. Sempa stierte ihn dumm an.
»App – was? Ist das humanistisch oder lateinisch?«
»Appendektomie heißt: Entfernung des Blinddarms.« Phil tauchte seine Hände in heißes Wasser, nachdem er die Chromdose mit den Gummihandschuhen bereitgestellt hatte. Er begann, sich bis zu den Oberarmen einzuseifen. Mißtrauisch sah ihm Sempa zu.
»Willst du ein kosmetisches Bad nehmen? Wozu der Quatsch? In Vietnam ging's auf dem OP-Tisch zu wie am Fließband. Wer hatte da Zeit, sich zu waschen?«
»Lies vor: Appendektomie!«
Sempa blätterte in dem ›Handbuch für ärztliche Notfälle‹ und schnaufte laut, als er das Wort endlich gefunden hatte. Inzwischen hatte Phil Äther und Äthermaske bereitgestellt.
»O Gott!« sagte Sempa, als er den Text überflogen hatte. »Phil, dagegen ist eine Beinamputation ein Klacks! Hör dir das an: ›Zur Technik des Schnittes: Man geht schräg zwischen Rektuswand und Darmbeinstachel ein und zwar als Wechsel- oder Zickzackschnitt. Dieser Schnitt wird so bezeichnet, weil er wechselnd in der Faserrichtung der einzelnen Muskeln oder in der Tiefe pararektal als Rektusrandschnitt, auch Kulissen- oder Falltürschnitt genannt, geführt wird.‹ – Hast du das verstanden?«
»Ja!«
»Er sagt Ja und stinkt dabei vor Angst in die Hose!« schrie Sempa. »Aber nur weiter, weiter. Der Herr kann ja Lateinisch! Ich lese vor: ›Wenn das Peritonium … ‹«
»Peritoneum …«
»Ist das vielleicht richtig? Na schön: ›Wenn das Peritoneum eröffnet ist, zunächst Aufsuchen des Zökums, das man an seinen Tänien erkennt … ‹« Sempa ließ das Buch sinken. »Wenn ich mir die Zunge abbreche, mußt du die auch noch operieren!«
»Lies weiter, Ari!«
»Entwickeln der Appendix …« Sempa stockte, drehte das Buch um, las den Titel und schüttelte den Kopf. Phil, der einen Hocker neben Evelyns Bett geschoben hatte, blickte auf.
»Was ist los?«
»Ich dachte ich hätte das falsche Buch. Was heißt hier: Entwickeln? Muß da vorher noch fotografiert werden?«
»Entwickeln heißt hier soviel wie: die Appendix darstellen, aus ihrer Umgebung herausholen, sie erkennen. Lies weiter, ich versteh's schon!«
»Er versteht es! Unser Genie! Also: › … Verlagern der Appendix mit ihrem Mesenteriolum vor den Hautschnitt!‹ Ha, das verstehst du nicht, Phil.«
»Nein! Aber ich kann mir denken, was es ist.« Phil hatte begonnen, Evelyns Unterbauch mit Alkohol zu waschen. Er tat es ganz vorsichtig, mit einigen großen Tupfern, um ihr nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten.
Sempa lehnte sich gegen die Höhlenwand und hielt das Buch in das Licht einer der Batterielampen. »Das alles brauchte ich nicht zu wissen, als ich dem Jungen die Hoden rettete!« knurrte er. »Mensch, reg dich nicht auf, ich lese ja schon: ›Jetzt wird das Mesenteriolum abgetragen, und die Appendix wird hart an ihrem Ende gequetscht. In der Quetschfurche bindet man mit einem Seidenfaden ab.‹ Ha!«
Sempas Aufschrei schreckte Phil hoch. Er hatte gerade begonnen, das vorgesehene Operationsfeld von Haaren zu befreien. Evelyn stöhnte und hatte die Fäuste geballt.
»Was ist denn?« fragte Hassler.
»Das kann ich!« sagte Sempa fröhlich. »Abbinden, – das war meine Spezialität! Und
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