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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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Sprenge?
    Dieser Gewissensfrage diene zur Antwort: Weil »Explosion« in allen fünf Erdteilen verstanden wird, »Die Sprenge« aber nur in Bornim bei Potsdam.
Funktion (17. Jahrhundert; Schwammwort): Aufgabe, Amt, Dienst, Obliegenheit, Geschäft, Betätigung, Befugnis, Verpflichtung . . .
    und noch mehr als 20 andere Verdeutschungen; alle gut, richtig und an geeigneter Stelle brauchbar; und nicht eine einzige, die dem wissenschaftlichen Begriff der Funktion gerecht wird. Nur von Amt und Leistung ist die Rede, nicht von der Verknüpfung veränderlicher Größen, die heute eine Grundform gebildeten Denkens darstellt. Mehr und mehr verdrängt die Funktion, die funktionelle Abhängigkeit, den alten Kausalbegriff, indem sie über die Klüfte zwischen Ursache und Wirkung, Grund und Folge betretbare Brücken schlägt. Die Funktionsarbeit der strengen Wissenschaft ist heute schon jedem Schreiber dienstbar, der nicht bloß berichten, sondern Zusammenhänge darstellen will. Und wo ist dafür die Übersetzung? sie steht nicht da, kann nicht aufkommen, weil man zuvor die Funktion aus der Wissenschaft herausreißen müßte. Und das kann selbst Er nicht, der Allwelschzermalmer; messe er sich mit Roethe, Sombart, Lamprecht, Wilamowitz, Simmel, aber pralle er zurück vor Leibniz, Johann Bernoulli und der nachgeborenen Phalanx der Algebra-Meister, die das Wort schirmen.
    Algebra? brauchen wir das Wort überhaupt? Ich halte es für unentbehrlich, selbst dort, wo nicht nur von algebraischen Dingen geredet wird, also im übertragenen Sinne als den höchsten Ausdruck für alles in Gleichungen Vorstellbare. Und zu meiner Freude finde ich in besagtem Wörterbuch:
    Algebra: Buchstabenrechnung, Zeichenrechnung; kurz und bündig. Aber wenigstens das Wort ist vorhanden. Es steht da in nackter Selbstherrlichkeit. Denn die beiden Übersetzungen sind nichtssagend, da die Buchstaben- und Zeichenrechnung nur Hilfsmittel der Algebra sind. Es ist ungefähr so, als wollte man Maschinentechnik durch Hebekran, Physik durch Luftpumpe, Chemie durch Glaubersalz verdeutschen. Gewiß, diese Hilfsworte gehören dazu, aber sie deuten nur an, sie erschöpfen nicht. Findet man etwa den Vergleich übertrieben, so lese man im Wörterbuch:
Kollodium: Schießbaumwolle;
    woraus der Chemiker ein vereinfachtes Verfahren lernen kann.
Infinitiv: Nennform, Akkusativ: Wenfall, vierter Fall;
    Ist das nötig, deutlich, bringt es frisches Sprachgut, dem gegenüber wir die Altworte als Bestandteile einer Ekel- und Schwindelsprache zu verwerfen haben? Engel hat hier nichts neues erfunden, nur Zweckwidriges weitergegeben und mit seinem Ansehen gedeckt. Der Infinitiv ist nicht die Nennform, sondern eine unter vielen Nennformen, die substantivisch gewordene Nennform des Zeitwortes. Das Wichtigste am Infinitiv, das Verbale, fällt auf der Übersetzungsfähre über die Kante ins Wasser. Johannes Scherr hat den Gemahl der Luise nach seiner abgerissenen Redeweise sehr witzig den »König Infinitiv« genannt. Scherr war als Geschichtsmensch natürlich ein widerlicher Welscher; er hätte den Monarchen »König Nennform« benamsen sollen; das wäre zwar nicht geistreich, vielmehr blödsinnig gewesen, aber vor dem Richterstuhl des Gestrengen hätte Scherr eine bessere Note bekommen.
    Zum Glück bleibt der Humor beim Akkusativ erhalten. Der »Wenfall« und seine fallenden Genossen haben mich schon seit längerer Zeit als Köstlichkeiten des völkischen Ziergartens angeblickt. Sie entstehen aus dem Wenfall wie die grammatischen Formen in einem niedlichen Galgengedicht von Christian Morgenstern. Der läßt einen Werwolf von einem toten Schulmeister abwandeln:
»Der Werwolf« – sprach der gute Mann –:
»Des Weswolfs«, Genitiv sodann,
»Dem Wemwolf«, Dativ, wie man's nennt,
»Den Wenwolf«, – damit hat's ein End'.
     
    Der lebende Schulmeister wird mir vorhalten, daß Wolf und Fall nicht dasselbe ist. Ich entgegne ihm, daß auch zwischen Deklination und Konjugation ein Unterschied besteht, den er auswischt:
Deklinieren: beugen, Konjugieren: abwandeln, biegen, beugen,
    und solchen verallgemeinernden und unscharfen Gleichsetzungen begegnen wir zu Hunderten. Wo bleibt da der Vorsatz, die »Schwammworte« loszuwerden? Interesse – »das formelhafteste aller welschen Schwammwörter«; seine Ableitungen – »eine Wortschwammsippe«; Element – »schwammiges Allerweltswort«; Pathos –»Schwammwort der »Ästheten« für alles Mögliche«; Privat – »echtes Schwammwort«, Idee –

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