Das Geheimnis der toten Voegel
das Gesicht zu bedecken. Die großen grauen Augen füllten sich mit Tränen und liefen über. Maria reichte ihr ein Papiertaschentuch, doch sie trocknete sich das Gesicht nicht damit ab. Stattdessen knüllte sie das Papier in ihrer Hand zu einem Ball. »Sandra war meine beste Freundin hier in der Klinik. Ich kann das nicht verstehen. Ich kann es einfach nicht begreifen …«
»Wenn ich es richtig verstanden habe, waren Sie auch in Ihrer Freizeit viel zusammen.« Maria konnte nicht umhin, zu Hartman zu schauen, als sie die Frage stellte. Sein Gesicht verriet nichts von der E-Mail, die er gelesen hatte. »Wissen Sie, ob es einen Mann in ihrem Leben gab? Einen Freund oder noch mehr als das?«
»Weiß nicht, aber ich glaube schon. Der Grund für die Trennung von Lennie war wohl, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte. Das war so offensichtlich. Sie antwortete kaum, wenn man sie ansprach, schlich sich davon, um mit ihrem Handy zu telefonieren, und wenn man in die Nähe kam, beendete sie das Gespräch sofort. Genau so, wenn sie am Computer saß. Wenn man reinkam, wechselte sie das Programm. So was merkt man. Ich habe es ihr gegönnt. Lennie war nichts für eine Frau wie Sandra. Die beiden passten irgendwie nicht zusammen. Sie hatte Allgemeinbildung und war intellektuell. Ich glaube, sie hielt ihn manchmal für einen ziemlichen Dünnbrettbohrer und schämte sich, wenn er Dummheiten sagte. Und er spürte das wohl. Ich glaube, man muss stolz auf den sein, mit dem man zusammen ist, damit es auf Dauer hält.«
»Wissen Sie, in wen sie verliebt war?«
»Nun ja.« Jessika holte Luft und sah ängstlich aus. »Ich kenne jemanden, der Sandra mochte. Aber ich bin mir nicht sicher, es ist nur eine Vermutung.«
»Es kann dennoch von Bedeutung sein. Was glauben Sie, wer es war?«
»Reine Hammar hatte eine Schwäche für sie. Manchmal schickte er ihr Blicke zu, die … Ach, Sie können sich nicht vorstellen, wie verliebt er war. Ihm fielen tausend Gründe ein, um in ihrem Zimmer herumscharwenzeln zu können. Er hat sich sogar die Haare schwarz gefärbt, weil sie gesagt hat, sie würde dunkelhaarige Männer mögen.« Jessika lachte, doch bald ging das Lachen in einen erneuten Weinanfall über. »Er ist der Klinikchef hier und mit Viktoria Hammar verheiratet. Mein Gott, das kommt doch wohl nicht heraus, dass ich das gesagt habe, oder? Einmal war er bei Sandra zu Hause, als ich gerade angerufen habe. Ich habe seine Stimme gehört. Aber ich glaube nicht, dass sie sonderlich an ihm interessiert war, da war jemand anders. Sie wollte nicht, dass ich wusste, wer es war. Und Reine Hammar ist so, wie er eben ist … Er hat mit einem Mädchen rumgemacht, das hier früher mal geputzt hat, und dann war es eins von den Mädchen aus dem Restaurant, und dann hat Mimmi aus der Küche gesagt, dass sie ihn in der Kneipe mit einem blonden Mädchen gesehen hat. Sie sind zusammen mit dem Taxi weggefahren, wahrscheinlich zu ihr nach Hause. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt, ich habe es nur von Mimmi gehört.« Jessika schniefte, trocknete sich die Augen und setzte sich mit geradem Rücken hin.
»Ich habe Sandra gefragt, ob zwischen ihr und Reine Hammar etwas sei, aber sie hat es geleugnet. ›Jetzt gib es schon zu, du feige Nuss‹, habe ich gesagt, aber sie hat nur gelacht.« Plötzlich riss Jessika die Augen auf und starrte Maria geradewegs an, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte. »Reine Hammar weiß also noch gar nichts davon. Er ist doch im Sanatorium und weiß nicht, dass Sandra tot ist. Wie furchtbar! Wer wird es ihm jetzt sagen? Ich? Das schaffe ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich ein Wort rausbringen würde. Der Arme. Es gab noch einen anderen, einen Journalisten. Sie hat einmal von einem Journalisten erzählt, den sie auf einem Fest kennengelernt hat, und ich hatte das Gefühl, es sei was Ernstes.«
»Wissen Sie, was für ein Fest das war?«
»Der vierzigste Geburtstag von einer, die in der Infektionsklinik gearbeitet hat. Der Journalist war ihr Bruder. Ich glaube, er hieß Fredrik.«
»Sind Sie sicher? Ich meine, dass er Fredrik hieß?«, fragte Hartman.
»Hm, ja, kann auch sein, dass er Florian hieß. Aber das ist schon eine Weile her, ich glaube nicht, dass etwas draus geworden ist. Dann hat sie viel im Internet gechattet, vielleicht hat sie auch da jemanden kennengelernt.«
»Wissen Sie, ob sie jemanden kannte, der Hans Moberg heißt, Mubbe?«
»Keine Ahnung. Aber ich glaube, sie hatte sich für gestern Abend mit
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