Das Geheimnis der toten Voegel
versteckt sich irgendwo.«
Yrsa Westberg wohnte in einem kleinen, weiß verputzten Haus in Kappelshamn. Schon von weitem konnten sie sie mit ihren drei Bordercollies in dem dicht belaubten Garten herumlaufen sehen. Eine energische Frau um die vierzig, das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, in Jeans und selbst gestricktem Pullover. Die Hunde gehorchten ihr auf den leisesten Wink und blieben wie angewurzelt stehen, als Hartman und Maria aus dem Auto stiegen und auf sie zugingen. Erst als Yrsa Westberg sie gefragt hatte, ob sie Hunde mochten und sie begrüßen wollten, gab sie den Tieren ein Zeichen, dass sie sich rühren und die Gäste vorsichtig beschnüffeln dürften. Sie wurden in eine gemütliche Küche geleitet, in der noch der Duft von frisch gebackenem Brot hing. Die Brotlaibe vom Morgen lagen zum Abkühlen unter karierten Handtüchern. Während Yrsa Westberg Kaffee und selbst gebackenes Sauerteigbrot auf den Tisch stellte, erzählte sie ruhig und beherrscht, warum sie angerufen hatte.
»Florian ist freiberuflicher Journalist. Manchmal fährt er weg, um eine Reportage zu machen, aber diese Woche wollte er zu Hause sein. Während meiner Reise haben wir uns jeden Abend eine SMS geschickt und uns eine gute Nacht gewünscht. Er war zu Hause oder in der Stadt, aber er hat auf jeden Fall von seinem Handy die SMS geschickt. Gestern Abend bin ich nach Hause gekommen und habe damit gerechnet, dass er irgendwann kommen würde, deshalb habe ich was Schönes gekocht und eine Flasche Wein geöffnet. Aber er kam nicht, und ich konnte ihn auch nicht per Telefon erreichen. Das Erstaunliche ist, dass er die Hunde die ganze Zeit, während ich auf dem Festland war, bei seiner Schwester untergebracht hatte. Sie hat gestern Abend angerufen, und da wurde mir erst klar, dass die Hunde bei ihr sind. Sie hat Florian die ganze Woche nicht gesehen – nicht seit dem Tag, an dem ich abgereist bin. Er muss sofort hingefahren und sie abgeliefert haben. Sofort, ohne es mir zu sagen. Ich bin Malerin und hatte diese Woche eine Ausstellung in Skagen.«
»Hat er die Hunde häufiger weggegeben, wenn er viel zu tun hatte?«
»Nur wenn er weggefahren ist, niemals, wenn er zu Hause war. Er würde seine Schwester nicht unnötig damit belasten. Ich mache mir solche Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Die Leute fahren ja wie die Verrückten, und ich nehme an, dass im Sommer noch mehr Betrunkene unterwegs sind. Vielleicht hat ihn ja einer in den Graben gefahren und hat sich dann davongemacht, oder er hat einen Herzinfarkt gekriegt und ist irgendwo liegen geblieben. Ich bin wahnsinnig vor Sorge.«
»Wissen Sie, woran er gerade arbeitete?«
»Wir sprechen nur selten über die Arbeit. Er war nicht sonderlich interessiert an meiner Kunst, und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich auch nicht sonderlich für seine medizinischen Artikel interessiert habe. Aber eine Sache ist mir aufgefallen: Der Computer ist weg. Einfach weg. Der Tisch ist leer. Tastatur und Bildschirm sind noch da.« Yrsa Westberg stand vom Tisch auf und ging vor ihnen her ins Arbeitszimmer. »Ich habe noch gedacht, wie komisch, dass er den Computer mitgenommen hat, wenn er doch einen Laptop hat. Aber vielleicht ist der irgendwo in Reparatur. Der hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Allerdings hat Florian nichts erwähnt, dass etwas damit nicht in Ordnung wäre. Ich denke, das hätte er erzählt.«
Maria sah sich im Zimmer um. Vor der Verandatür hing ein seltsamer Vorhang aus Verschlüssen und Korken. Maria konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihn pfiffig finden sollte oder einfach nur entsetzlich hässlich.
»Soweit Sie wissen, hat es keinen Einbruch gegeben, oder?« Maria versetzte der Verandatür einen leichten Stoß mit der Schulter. Sie glitt auf. Draußen war ein Häufchen Späne zu sehen, und im Holzrahmen befanden sich deutliche Schnitzspuren.
»Nein.« Yrsa Westberg sah bestürzt aus. »Wir wohnen schließlich auf dem Land. Ich schließe nicht einmal mein Fahrrad ab. Hier passiert nie etwas.«
»Vermissen Sie außer dem Computer noch etwas?« Hart-. man betrachtete den Schaden an der Tür. »Sieht aus, als hätte jemand Messer und Stemmeisen benutzt.«
»Ich begreife nicht, was die mit dem Computer wollen, der ist über zehn Jahre alt. So einen kriegt man anderswo sicher geschenkt. Nein, hier scheint sonst nichts angerührt«, sagte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Sparbücher noch in der obersten
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