Das Geheimnis der Totenmagd
teilweise gerahmte Stücke. »Das ist ja Katharina!«, rief sie erstaunt.
»Ja, das ist sie.« Der junge Maler nickte wie ertappt. Die Patriziertochter war aufgestanden und begutachtete die Porträts.
»Wunderbar!«, äußerte sie begeistert. »Das ist Katharina, wie sie leibt und lebt. – Sie hat mir gar nicht erzählt, dass sie Euch Modell gestanden hat.«
»Das hat sie auch nicht. Ich habe sie sozusagen aus dem Gedächtnis gemalt«, entgegnete Florian.
»Exzellent! Ihr seid ein wahrer Meister Eures Faches. – Sagt, darf ich Euch eines davon abkaufen? Eines, das Ihr bereit seid, zu veräußern? Ich zahle jeden Preis, den Ihr verlangt.«
»Die Bilder sind unverkäuflich, ich habe sie eigentlich nur für mich selbst angefertigt. Und für Katharina, der ich eines davon schenken wollte«, wehrte Florian ab. Er war neben Anna getreten und betrachtete Katharinas Konterfeis mit ebenso zärtlichen wie wehmütigen Blicken.
Dann sah er Anna nachdenklich an und verkündete: »Wisst Ihr was? Ich verkaufe sie zwar nicht, aber ich möchte Euch eines schenken. Sucht Euch ein Bild aus.«
»Das kann ich doch nicht annehmen«, erwiderte Anna beschämt.
»Doch, Ihr könnt. Entweder Ihr lasst Euch eins schenken, oder Ihr kriegt gar nichts. Verkaufen tue ich jedenfalls keines davon!«, erklärte Florian trotzig.
Anna musterte ihn von der Seite, die feingewölbte Stirn, die kräftige, wohlgeformte Nase, das ebenmäßige und doch energische Kinn des jungen Künstlers. Ein Profil, das von Sensibilität, gleichermaßen aber auch von Eigensinn und Entschlossenheit kündete, dachte sie. Wie gut würde er doch zu Katharina passen!
»Ihr liebt sie«, murmelte sie versonnen.
»Ja, ich liebe sie«, gestand Florian heiser. »Vom ersten Augenblick an, als ich sie gesehen habe. Aber sie weiß nichts davon, ich habe nie mit ihr darüber gesprochen. Schließlich ist … war sie eine verheiratete Frau.« Er schaute Anna offen an. »Und Ihr? Ich glaube, Ihr liebt sie auch«, sagte er unumwunden.
»Ja«, entgegnete Anna schlicht, während ihre Augen feucht wurden. »Aber auch ich habe nie mit ihr darüber gesprochen. Als Frau eine Frau zu lieben ist an sich schon … ein Unding. Und überdies war mir von Anfang an klar, dass sie meine Gefühle nicht teilen würde. Weil … weil sie anders empfindet«, erwiderte Anna niedergeschlagen und vermochte ihre Tränen nicht mehr zurückzuhalten.
»Ihr seid der erste Mensch, mit dem ich darüber spreche«, flüsterte sie.
»Mir ergeht es ebenso.« Florian trat an den Tisch und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Trinkbecher. Dann sah er Anna sinnend an.
Sie erwiderte seinen Blick, und sie fühlten einander wundersam verbunden. Lange saßen sie noch beisammen, leerten gemeinsam die Flasche Frankenwein und sprachen über Katharina.
*
Katharina war am Ende ihrer Kräfte. Stundenlang irrte sie nun schon durch tief verschneite Wälder. Es begann bereits zu dämmern, sie konnte kaum noch etwas erkennen. Sie stolperte über Wurzeln und verfing sich mit den Haaren im Geäst der Bäume. Als sie versuchte, sich zu befreien, schien sie sich immer mehr darin zu verstricken. Die Zweige gaben sie nicht mehr frei, umschlossen sie mit eisernem Griff. Verzweiflung und Panik überkamen sie. Sie war verloren. Bald würden ihre Häscher sie finden und sie töten. Aus der Ferne vernahm sie schon die knirschenden Schritte, hörte ihre Schreie. Sie kamen immer näher. Und dann spürte sie plötzlich seinen Atem auf ihrem Gesicht. Der Mann mit dem Totenschädel bleckte die Zähne, um sie zu küssen. Sie blickte in seine leeren schwarzen Augenhöhlen, und ihr war, als würde sie in einen Sog geraten, der sie immer tiefer nach unten zog. Sie bekam keine Luft mehr und hatte das Gefühl zu ertrinken. Ölige Bitternis rann ihr in Strömen durch die Kehle, und obgleich sie drauf und dran war, in dem schwarzen Mahlstrom zu versinken, umfing sie eine lähmende Gleichgültigkeit. Sie ergab sich der Schwärze und wehrte sich nicht mehr. So ist es also, wenn man stirbt, war ihr letzter Gedanke, ehe sie in die große Leere glitt.
Wundersam erquickt und frei von jeglicher Furcht erhob sie sich und flog mit ausgebreiteten Schwingen davon. Schwebte über den hohen verschneiten Tannenwipfeln, während dicke Schneeflocken sie sanft umschmeichelten wie Daunenfedern. Nun war alles ins milde silbrige Licht des Mondes getaucht. Unten sah sie den Schnee glitzern wie ein weißes Diamantentuch, und über ihr funkelten die Sterne. Sie
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