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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Bandagen anlegen«, bemerkte er mit keuchenden Atemzügen, ehe er hastig den Raum verließ.
    Wenig später kehrte Kilian mit dem Henker im Gefolge zurück. In den Händen hielt er ein kleines Kantholz und eine braune Glasphiole, die er öffnete. Dann trat er an Katharinas Lager.
    Katharina gab einen gellenden Schrei von sich. »Bitte, nein …!«, flehte sie verzweifelt, als der Henker ihre Arme packte und sie ihr mit einem heftigen schmerzhaften Ruck auf den Rücken drehte. Dann drückte er sie auf den Strohsack, fixierte ihren Oberkörper mit dem Knie und drückte ihr mit der einen Hand das Kinn nach unten. Mit der anderen ergriff er ihren Haarschopf und zog ihr den Kopf ruckartig in den Nacken, bis die Kiefer auseinanderklafften. Sie fühlte sich unsagbar hilflos und ausgeliefert.
    Mit einer blitzartigen Bewegung klemmte ihr Kilian das Holz zwischen die Zähne und träufelte ihr etwa ein Viertel des Flascheninhalts in den Rachen. Obgleich sie immer wieder heftig würgen musste und zu ersticken glaubte, konnte sie es doch nicht verhindern, dass ihr die bittere Flüssigkeit in die Kehle lief. Erst, nachdem sie einige Male krampfartig geschluckt hatte und sich eine wohlige Wärme in ihrem Magen auszubreiten begann, zog Kilian den Keil aus ihrem Mund.
    Der ehemalige Mönch nahm die Fackel aus der Halterung und ließ, gefolgt vom Henker, die beinahe Bewusstlose in der Finsternis des Kerkers zurück.

19
    Anna hatte zwar in Erwägung gezogen, den Henker draußen vor den Toren der Stadt im Galgenviertel aufzusuchen, doch bei aller Beherztheit hatte sie sich doch zu sehr davor gefürchtet, allein in diese verrufene Gegend zu gehen. Daher entschloss sie sich an jenem tristen Dezembernachmittag, noch einmal einen Vorstoß zu wagen und Katharina um Hilfe zu bitten.
    »Ich gehe kurz zu Klara rüber«, erklärte sie ihrer Mutter beiläufig und mühte sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck, als diese ihr entrüstet vorhielt:
    »Wir haben doch heute Sankt Nikolaus, und da richtet die Stubengesellschaft auf dem Hause Limpurg ein Festessen für die Stubengesellen und ihre Ehefrauen aus, zu dem Herthe Weiß und seine Gattin gewiss auch hingehen werden.«
    »Das mag ja sein. Aber sicher erst am Abend, und jetzt hat es gerade erst zur vierten Stunde geschlagen«, entgegnete Anna und strebte der Halle zu.
    »Das Essen ist für die sechste Stunde anberaumt, in genau zwei Stunden also. Dein Vater und ich sind nämlich gleichfalls eingeladen. Doch wir gehen nicht hin, weil wir Trauer haben. – Meinst du nicht, das wird ein bisschen knapp?«, wandte Frau Hedwig ein.
    »Wieso denn? Für einen Plausch wird’s schon noch reichen«, konterte Anna und schlüpfte in ihren Umhang. »Adieu, Mutter!«
    Angespannt lief Anna durch die Gassen. Seit über drei Wochen hatte sie Katharina nicht mehr gesehen, doch sie hatte häufig an sie denken müssen. Denn obwohl sie die Totengräbertochter noch nicht lange kannte, hatte diese schon nach kurzer Zeit ihr Herz erobert. Anna sehnte sich danach, in Katharinas strahlende Augen zu blicken, ihre Stimme zu hören und ihre Warmherzigkeit zu erleben. Inständig hoffte sie darauf, wieder die alte energiesprühende Katharina vorzufinden und nicht dieses bleiche, teilnahmslose Geschöpf, das sie bei ihrem letzten Besuch so bitter enttäuscht hatte. Sie ist ja fast so entrückt wie Mechthild, hatte sie bei sich gedacht, und die schlimmen Ahnungen waren in den vergangenen Tagen nicht schwächer geworden. Dennoch beschwor sie sich unterwegs immer wieder, guten Mutes zu sein. Bestimmt war Katharina mittlerweile wieder gesundet.
    Anna fühlte sich seit Mechthilds Tod häufig einsam. Dann verschanzte sie sich in ihrer Studierstube, las bis spät in die Nacht hinein oder schrieb in ihr Stundenbuch. Die schreckliche Mordtat an ihrer Schwester lastete ihr noch immer schwer auf der Seele, und zuweilen brachte sie die Vorstellung, dass der Unhold, der Mechthild getötet, und die schlechten Menschen, die sie in den Tod getrieben hatten, noch immer frei ihrer Wege gingen, schier um den Verstand. Und dann beschäftigten sie diese merkwürdigen Übereinstimmungen zu dem toten Gassenkehrer. Ihr war es alles andere als wohl dabei, dass sie seit dem aufschlussreichen Gespräch mit Andreas Borndörfer vor fünf Tagen nichts mehr unternommen hatte. Zwar konnte sie die Scheu des Lohgerbers, gemeinsam mit ihr den Henker aufzusuchen, verstehen, doch sie war der Ansicht, dass der Zweck die Mittel heilige. Sie selbst hätte es

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