Das Geheimnis der Totenmagd
nur argwöhnisch. Wir können ihm ja jetzt nichts beweisen. Da ist es besser, erst einmal behutsam vorzugehen. Und wenn es tatsächlich Ungereimtheiten gibt, übergeben wir die Angelegenheit der Obrigkeit. Dann muss er Farbe bekennen.«
Anna klang so überzeugend, dass Florian sich schließlich geschlagen gab.
Die beiden einigten sich darauf, sich in zwei Tagen wiederzusehen. Anna hatte Florian kurzerhand zum Abendessen eingeladen, auch wenn sie noch nicht genau wusste, wie sie das ihren Eltern erklären sollte. Anschließend würden sie sich in ihre Studierstube zurückziehen, wo sie sich in Ruhe besprechen konnten.
Vor dem Aufbruch drängte Florian Anna, sich ein Porträt von Katharina auszusuchen. Sie entschied sich für ein kleines Tafelgemälde, welches Katharina mit einer hellgrauen Flügelhaube zeigte. Die Totengräbertochter wirkte darauf so anmutig und stolz wie eine junge Adelsdame. Anna war überglücklich über das Geschenk und bedankte sich mehrfach bei dem Maler.
Mit dem in Leinwand eingeschlagenen Tafelbild unter dem Arm begleitete Florian seine Besucherin nach Hause.
Obgleich es schon auf Mitternacht zuging, brannten im Hause Stockarn noch sämtliche Lichter. Als sich Anna von Florian verabschieden wollte, wurde plötzlich die Haustür aufgerissen, und Frau Hedwig, die bereits in Nachtgewand und Hausmantel war, setzte dazu an, ihre Tochter wegen ihrer späten Heimkehr zu rügen. Doch als sie des Begleiters ansichtig wurde, blieben ihr vor Verblüffung die Worte im Halse stecken. Noch nie war ihre Tochter in männlicher Begleitung nach Hause gekommen! Im ersten Moment wusste sie nicht so recht, ob sie darüber verärgert oder erfreut sein sollte, doch als sich der gutaussehende junge Mann in aller Form als der Maler Florian Hillgärtner vorstellte und sie mit einem gewinnenden Lächeln anblickte, entschied sie sich für Letzteres und bedachte ihn mit einem huldvollen »Sehr erfreut!«
20
Als der Meister in einem Umhang aus scharlachroter Seide das ehemalige Verlies betrat, gefolgt von den schwarzgewandeten Brüdern des Todes, fand er eine hohlwangige, bleiche Katharina vor, die ihn aus glasigen, dunkelumflorten Augen anstarrte.
»Willkommen bei den Brüdern des Todes, Schwester«, begrüßte Leonhard Stefenelli sie, während er sich an der Stirnseite des Tisches niederließ und Katharina aufforderte, sich an seine rechte Seite zu setzen. Zu seiner Linken saß Kilian von Hattstein, der zu diesem Anlass seine graue Mönchskutte abgelegt hatte und wie die anderen Brüder in eine tiefschwarze Kutte gekleidet war.
Neben Katharina hatten der Henker und seine füllige Frau Ilse Platz genommen, die vernehmlich schnaufte, so dass ihr gewaltiger Busen beständig auf und ab wogte. Katharina kannte die Henkersfrau vom Sehen, sie hatte den Ruf, eine üble Klatschbase zu sein. Während der Messe betrieb sie einen Verkaufsstand, wo sie die kuriosesten Dinge feilbot: merkwürdig gekrümmte Wurzeln, die sogenannten »Galgenmännchen«, die unter dem Galgen ausgegraben wurden und denen man magische Kräfte zuschrieb, Stücke vom Galgenstrick, der als gefragter Talisman galt, die bewährten Henkerstropfen, die als Pestelixier, Allheilmittel oder Aphrodisiakum verwendet wurden, und die unter Heilerinnen und Zauberern sehr gefragten Hautstücke von Hingerichteten, das »Armesünderfett«.
Katharina glaubte nicht an solche Wundermittel, sie hielt solche abscheulichen Arzneien für faulen Zauber, die törichten Menschen nur das Geld aus der Tasche ziehen sollten. Die überaus geschäftstüchtige Henkersgattin schien damit aber sehr gute Umsätze zu machen. Es war hinlänglich bekannt, dass Ilse, genauso wie ihr Mann, dem Trunke ergeben war. Da sie aufgrund ihrer Fettleibigkeit leicht ins Schwitzen geriet, war sie immer von einer Branntweinwolke umgeben. Auch Meister Hans, der direkt neben Katharina saß, hatte eine starke Schnapsfahne, und Katharina wandte unwillkürlich den Kopf zur Seite. Neben dem Graureiher befand sich der alte Leibdiener des Arztes, den er schlichtweg »Puch« zu nennen pflegte. Der knorrige alte Mann hatte bei ihren Besuchen gelegentlich die Tür geöffnet, er schien seinem Herrn sehr ergeben zu sein. Der wuchtige, feiste Mann mit den groben Gesichtszügen, der an seiner Seite saß, kam ihr bekannt vor, aber wegen der schwarzen Kutte und der weiten Kapuze, die seine Stirn bedeckte, erkannte sie erst nach einer Weile Gottfried Faulstich, den Schellenknecht des Gutleuthofes, der für die
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