Das Geheimnis der Totenmagd
zuteil, unsere neue Schwester in die Geheimnisse der Bruderschaft einzuführen. Ich hoffe nur, dass dich diese Aufgabe nicht von deiner inneren Einkehr ablenkt?« Unterwürfig erwiderte Kilian: »Keineswegs, Meister. Es ist mir eine Ehre, das Licht an unsere Schwester weiterzugeben.«
»Wer weiß? Vielleicht ist es tatsächlich schon unsere neue Schwester, die der große Schnitter auffordert, ihn zum Ball der Toten zu begleiten.« Leonhard Stefenelli streifte Katharina mit einem tückischen Blick, die bei seinen Worten schlucken musste. Die Ahnung, dass es sich bei der hanebüchenen Versammlung im Kellergewölbe um jene Reigentänzer handelte, die ihr Vater auf dem Friedhof beobachtet hatte, war ihr längst zur Gewissheit geworden.
Nun wandte sich Doktor Stefenelli mit einem merkwürdigen Lächeln an sie: »Liebe Schwester, ich hege nicht den geringsten Zweifel, dass du dank Bruder Kilians tatkräftiger Unterstützung schon bald zu einer Ähre heranreifen wirst, die des Schnitters Herz erfreuen wird. Aber ich glaube, ich muss da noch selbst ein wenig nachhelfen. – Wer bist du?«, herrschte er sie an. Katharina war in Anbetracht des scharfen Tons, den er plötzlich anschlug, zusammengezuckt.
»Ich verstehe nicht …«, stammelte sie verwirrt. »Ihr wisst doch, wer ich bin.«
»Wer bist du?«, richtete er übergangslos die Frage an den neben ihr sitzenden Henker.
»Ich bin ein Nichts und ein Niemand und nur ein Bruder des Todes«, entgegnete dieser devot.
»Wer bist du?«, fragte er anschließend die Henkersfrau.
»Ich bin ein Nichts und ein Niemand und nur eine Schwester des Todes«, murmelte die dicke Frau keuchend und wagte nicht, den Blick zu erheben.
Das Prozedere machte die Runde, bis Katharina wieder an der Reihe war.
»Wer bist du?«, fragte sie Leonhard erneut und schien mehr und mehr in Rage zu geraten. Auch Katharina fühlte plötzlich eine Wut in sich aufsteigen, die sie unvorsichtig werden ließ.
»Was ist denn das für ein albernes Kinderspiel? Auf so etwas Dämliches habe ich keine Lust. Das könnt Ihr allein spielen. Ihr und diese Jenseitsbrüder!«, platzte es aus ihr heraus. In nächster Minute traf sie eine derart schallende Ohrfeige, dass sie das Gefühl hatte, der Kopf werde ihr von den Schultern gerissen.
»Lasst mich mit ihr alleine«, zischte Leonhard Stefenelli, und seine Augen glitzerten gefährlich. »Ich werde ihr die richtige Antwort schon beibringen.«
*
Die Tortur war vorüber, und Katharina hatte das Gefühl, dass nur ihr Hass sie noch am Leben hielt. Unzählige Male hatte er sie auf brutalste Weise genommen und auf jede erdenkliche Art gedemütigt und misshandelt. Du kannst mich nicht brechen, hatte sie immer wieder gedacht, sich an dem Gedanken festgeklammert wie eine Ertrinkende, und das Hassgefühl in ihr war immer stärker geworden. Sie hatte genau gespürt, dass die mannigfaltigen Peinigungen, die er ihr zugefügt hatte, ihn zwar erregten, aber nicht wirklich befriedigten. Dazu bedurfte es mehr, und Katharina ahnte, was ihm fehlte: Es war das Töten.
Er hätte sie vorhin am liebsten umgebracht, das hatte sie in seinen Augen gesehen. Warum hatte er sie verschont? Da steckt doch mehr dahinter als das Gerede, dass ich von Berufs wegen dem Tod so nahestünde …
Katharina erkannte, wie aussichtslos ihre Situation war. Aber sie mochte sich von dieser Erkenntnis nicht entmutigen lassen. Irgendeinen Ausweg musste es doch geben …
Dieser kranke Schurke will meinen Willen brechen. Das muss wohl so sein, sonst würde man diesen haarsträubenden Todesphantasien nicht nacheifern bis zur Selbstaufgabe. – Was es wohl mit Kilians Straucheln auf sich hat? Er wirkt doch so unanfechtbar … Aber vielleicht gerade deswegen, weil er in seinem Innern Zweifel hegt. Ich muss es herausfinden.
Während Katharina ihren Gedanken nachhing, hatte sie ihr braunes Schultertuch umgelegt, sich auf ihrem Strohsack zusammengerollt und sich die Wolldecke bis über die Ohren gezogen, denn die feuchte Kälte des Kellergewölbes drang ihr bis auf die Knochen und ließ sie schlottern. Irgendwann, nach unbestimmter Zeit, ergab sie sich ihrer Müdigkeit und schlief ein.
In jener Nacht träumte sie zum ersten Mal von Florian. Er war ihr ganz nahe, sie konnte deutlich sein Gesicht erkennen. Sie tauchte ein in das glitzernde Grün seiner Augen, in denen sich nichts anderes spiegelte als Liebe, die sich wie ein heilsamer Balsam über ihre Wunden legte.
*
Am folgenden Tag wurde Anna von ihrer
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