Das Geheimnis der Totenmagd
gewundert. Wo doch alles um uns herum, die Natur, der wir ja auch angehören, so unendlich schön sein kann.« Katharina sah den ehemaligen Mönch offen an.
Doch der wich ihrem Blick aus. »In unseren Zeiten ist es mehr und mehr zu einer Unsitte geworden, der Natur eine verstärkte Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Ein völlig überflüssiges Unterfangen. Gerade die vergängliche Natur ist schuld an unserer überheblichen Blindheit und Selbstherrlichkeit und trennt uns vom ursprünglichen Geist und dem wahren Wesen, welches wir einzig im Tode erfahren können.«
»Und dass der Tod die einzige Erfüllung und Glückseligkeit sein soll – ist das nicht am Ende auch nur eine trügerische Sehnsucht?«, warf Katharina in ruhigem Tonfall ein und beobachtete Kilian dabei genau.
Dieser schüttelte nur empört den Kopf und erwiderte heftig: »Nein! Einzig im Tode liegt die Wahrheit!«
Wenn er Zweifel hat, so lässt er sie sich jedenfalls nicht anmerken , ging es Katharina durch den Sinn. Noch nicht …
»Wer kann das schon sicher wissen?«, entgegnete die Totenwäscherin versonnen. »Es ist doch noch niemand von den Toten zurückgekehrt und hat davon berichten können.«
»Das stimmt nicht! Du vergisst die Auferstehung Christi! Auch unser Meister ist vom Ringen mit dem Tod ins Leben zurückgekehrt, damit er ihn uns lehren kann.«
»Kann man den Tod lehren? Muss ihn denn nicht jeder ganz für sich alleine erfahren? Man kann in Würde sterben, sicher, aber das gelingt nur den wenigsten unter uns. Alte Leute spüren manchmal, dass ihre Zeit gekommen ist, und nehmen ruhig und friedvoll Abschied. Die meisten aber fürchten sich vor dem Sterben. Und bei einem Freitod steckt immer eine schlimme Not dahinter. Dass man schon im Leben lernen kann, sich dem Tod ohne Bangigkeit im Herzen zu ergeben, das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen.«
Katharina sah den Grauen skeptisch an und hatte für kurze Zeit tatsächlich das Gefühl, dass sich hinter seiner verknöcherten Fassade, in welche die morbiden Lehren der Bruderschaft wie in Stein gemeißelt schienen, etwas zu regen schien. Möglicherweise war ihm das selbst nicht ganz verborgen geblieben, denn er machte eine kurze, ruckartige Bewegung, als ob er etwas von sich abschütteln wollte, und entgegnete gleich darauf mit großer Ernsthaftigkeit: »Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, Schwester, weil dein Geist noch umnachtet ist, aber wenn du dein Herz endlich dem großen Gleichmacher öffnest, wird es frei von jeglicher Furcht sein.«
»Die zwei Brüder und die Schwester, von denen der Meister bei der Versammlung gesprochen hat, sind also alle freiwillig und ohne Angst aus dem Leben geschieden?«, fragte Katharina zweifelnd und ließ den Graureiher keinen Moment lang aus den Augen.
»So ist es«, erwiderte dieser schnell.
»Und wie haben sie das getan? Ich meine, auf welche Art und Weise haben sie ihrem Leben ein Ende bereitet? Hat sich die Jungfer Stockarin, die mein Vater im Beinhaus gefunden hat, denn selbst den Hals aufgeschnitten?«, fragte die Totenwäscherin sachlich. Der ehemalige Mönch konnte ihrem forschenden Blick auch dieses Mal nicht lange standhalten.
»Unsere Brüder und Schwestern, die das Los auserkoren hat, bereiten sich lange und sorgfältig auf ihren Tod vor. In einem letzten großen Ritual ritzt ihnen der Meister mit einer goldenen Sichel die Halsschlagader auf. Während sie eingehen in die ewige Glückseligkeit und der Tod ihre unsterblichen Seelen in Empfang nimmt, lobpreisen wir den allmächtigen Herrscher. Es ist ein erhabener Anblick, wenn ein Sterblicher in die Ewigkeit hinübergleitet. Du wirst es vielleicht selbst erleben, Schwester, wenn ich heimkehren darf in das Königreich des Todes«, erklärte Kilian mit feierlichem Ernst, und Katharina vermeinte, ein leichtes Beben in seiner Stimme zu vernehmen.
»Und Ihr, fürchtet Ihr Euch nicht vor dem Tod, der Euch schon so bald ereilen wird? Macht Euch das nicht Bange?«
»Im Gegenteil, Schwester. Ich bin froh und glücklich darüber, endlich das Jammertal des Lebens verlassen zu dürfen. Ich fühle schon jetzt einen tiefen inneren Frieden in mir«, erwiderte Kilian fast trotzig.
»Aber Ihr seid doch noch so ein junger Mann und habt das ganze Leben noch vor Euch!«
Ein eigentümlicher Glanz war in Kilians Augen getreten. »Das wahre Leben gibt es nur im Tod!«, verkündete er.
Was für ein verknöchertes Mönchlein, ging es Katharina durch den Sinn, und sie empfand einen Anflug von
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