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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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jungen Mönchs
    Während unserer öffentlichen Selbstgeißelung auf dem Rossmarkt begannen die Glocken sämtlicher Frankfurter Kirchen zu läuten. Danach warfen wir uns mit entblößtem Oberkörper auf das Straßenpflaster, und der Meister schritt über den Ersten von uns hinweg, berührte ihn mit der Geißel und sprach über ihm die Worte »Bruder des Todes«. Dann erhob sich der solcherart Gesegnete und ging mit dem Meister über den Zweiten, der ihnen nachfolgte. Das wiederholte sich so lange, bis alle Geißler aufrecht standen. Anschließend hielt der Geißlerführer seine Ansprache. Des Meisters Botschaft vom Tod bewegte und erschütterte die Menschen. Später erzählte man sich, die Leute, die sie vernommen, seien davon so beeindruckt gewesen, dass langjährig Zerstrittene miteinander Frieden geschlossen, Diebe Gestohlenes zurückgebracht hätten und vermeintlich unfruchtbare Frauen endlich guter Hoffnung geworden seien.
    Es gab indessen einen unschönen Zwischenfall, der den Meister über die Maßen zu erbittern schien.
    Bei einem unserer Umzüge richtete der Erhabene das Wort an eine junge Frau, doch obgleich sie nur eine einfache Frau aus dem Volke war, schritt sie hoffärtig an uns vorbei. Ihre kecke Vermessenheit lag wohl darin begründet, dass sie sehr anmutig war. Der Meister, der allen Menschen auf den Grund ihrer Seelen blicken konnte, durchschaute auch ihre Anmaßung sogleich.
    »Deine Schönheit wird dir nichts nützen, Schwester, vor dem großen Schnitter sind alle gleich!«, rief er ihr zu.
    »Und deine Hässlichkeit dir auch nicht, du Popanz«, erwiderte das freche Weibsbild und ging einfach weiter.
    Der Meister gab nicht auf. »Gehe in dich, Metze, und gib dein eitles Streben auf! Lerne den Tod, und dein Herz wird frei sein von Furcht, und du wirst den inneren Frieden finden!«
    »Lern du erst mal das Leben, du aufgeblasener Scharlatan, und lass mich mit deinem Gefasel in Ruhe!«, blaffte ihm die Verblendete entgegen, was unter unserem Gefolge für große Empörung sorgte. Auch mich machte die hochtrabende Verstocktheit der Frau sehr wütend.
    »Greift sie euch, die Hexe, und brennt ihr das Satanszeichen auf die Stirn!«, schrie ich gellend, und schon stürzten einige von uns auf das unverschämte Weib zu. Die Magd erkannte die Gefahr und rannte um ihr Leben. Bedauerlicherweise gelang es uns nicht, ihrer habhaft zu werden. Der Meister schäumte vor Wut und schwor, an dem Weibsstück Rache zu nehmen, wenn sie ihm jemals wieder begegnen sollte.
    Ansonsten jedoch begegneten die Frankfurter Stadtbürger dem Auserwählten Gottes mit großer Ehrfurcht, war ihm doch die Nachricht von seiner wundersamen Heilung vorausgeeilt. Wohlhabende Bürger luden ihn in ihre Häuser ein, allerorts erbat man seinen Segen. Kranke ließen sich von ihm die Hand auflegen, Tücher mit dem Blut seiner Wunden trugen seine Anhänger bei sich wie heilige Reliquien, die sie vor der Pest und bösen Kräften schützen sollten.
    Auch in Frankfurt schlossen sich zahlreiche Menschen den Flagellanten an, Angehörige der unterschiedlichsten Stände folgten der endlos langen Büßerprozession durch das Mainzertor hinaus. Vor allem Frauen erlagen dem Charisma des Geißlerführers, Hübscherinnen und Bademägde marschierten neben Nonnen und Stiftsdamen, Patrizierinnen gingen an der Seite von Gesindemägden und Wäscherinnen. Unter den Männern, die sich in die Prozession einreihten, waren wohlhabende Kaufleute ebenso wie Zunfthandwerker, Gassenkehrer und Gaukler. Sogar ein Ritter folgte uns, und Meister Hans, der berüchtigte Frankfurter Henker, trat ebenfalls der Gefolgschaft bei.
    Im benachbarten Höchst vollzog sich Ähnliches, und als der Geißlerzug nach einigen Tagen die Bischofsstadt Mainz erreichte, zählte er bereits über fünfhundert Häupter.
    Inzwischen hatte ich dem Meister die gesamte Apokalypse des Jakobus eröffnet und war sein engster Vertrauter und Berater geworden. Der Anführer, der es verstand, Menschen in seinen Bann zu ziehen, und ich, der in sich gekehrte ehemalige Mönch, ergänzten uns trefflich, waren wir doch besessen von einer großen gemeinsamen Mission. Mit klar verteilten Rollen: Der Meister war der Heilsbringer und ich sein Wegbereiter.
    Je mächtiger seine Gefolgschaft wurde, desto kühner wurde unser Anführer. In Mainz ließ er ein prachtvolles tiefschwarzes Samtbanner anfertigen, auf welches mit goldenem Garn ein Totenschädel und die Aufschrift »Brüder des Todes« gestickt waren.
    Seine Jünger

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