Das Geheimnis der Totenstadt - Thriller
mein verstorbener Lieblingsonkel Luca hatte nur ein Thema. Die Geschichte der Stadt Volterra. Die musste ich mir als Kind wohl an die hundert Mal anhören. Es wurde aber nie langweilig, weil er sie jedes Mal etwas anders erzählte. Auf jeden Fall hieß die Stadt bei den Etruskern Velathri. Die Römer haben daraus ›Vola terrae‹ gemacht, was so viel heißt wie ›Die über das Land dahin Fliegende‹. Sie liegt auf einem über fünfhundert Meter hohen Hügel. Von da aus hast du einen umwerfenden Blick über die Toskana. Wenn das kein Hinweis auf Volterra ist, fresse ich meine Werkzeugtasche.«
Robert schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Natürlich, du hast Recht.«
Carlo strahlte. Endlich einmal hatte er seinem gebildeten und klugen Freund etwas erklären können. Robert schaute wieder in das schwarze Notizbuch.
»Das zweite Wort scheint ein Name zu sein. ›Guarnacci‹, entziffere ich daraus. Kannst du damit was anfangen? Kennst du jemanden, der so heißt?«
Carlo zog die Unterlippe nach vorn und dachte nach.
»Guarnacci sagst du? Ja, das ist ein Name. Das ist der Name eines Museums in Volterra. Das Museo Etrusco Guarnacci.«
*
Professor Lorenzo Tardi hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die Sicherheitskette überzulegen, wenn es abends an der Tür seiner Privatwohnung klingelte. Er war schon immer etwas ängstlich, aber seit Tagen zuckte er bei jedem Läuten zusammen, in der Angst, der Sizilianer und seine Leute könnten vor der Tür stehen.
In diesem Fall schien die Angst unbegründet. Die Frau, die vor der Tür stand, lächelte ihn an.
»Professore Tardi?«
Er räusperte sich, denn der Schreck hatte seinen Mund austrocknen lassen.
»Ja, was kann ich für Sie tun?«
Sie griff in ihre Handtasche und holte einen Umschlag hervor.
»Der Avvocato Pancrazzi schickt mich. Er bittet Sie, dieses Dokument zu unterschreiben. Ich soll darauf warten.«
Tardi schaute sie verwundert an.
»Um diese Zeit? Hätte das nicht bis morgen Zeit gehabt?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
»Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Ich habe nur den Auftrag, mit Ihrer Unterschrift unverzüglich zurückzukommen.«
Mit sichtbarer Verwirrung schloss er die Tür, hakte die Kette aus und öffnete sie wieder.
»Bitte kommen Sie herein!«
Er führte sie in sein Arbeitszimmer, in dem ein heilloses Durcheinander von Büchern, Ordnern und losen Blättern herrschte und in dem es muffig roch.
»Geben Sie her.«
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zog das Schreiben aus dem Umschlag. Die Frau stellte sich wartend hinter ihn. Nach einigen Sekunden ließ er ein ärgerliches Schnaufen vernehmen.
»Was soll denn das? Das ist ja ein Rezept für Linguine al to ...«
Er kam nicht mehr dazu, das Wort »tonno« auszusprechen. Das Rasiermesser schnitt tief und lautlos durch seine Gurgel. Ein breiter Blutstrahl schoss auf die gescannten und ausgedruckten Dokumente von Paolo Mazzetti.
*
»Ich hoffe doch sehr, dass du kommst!«, sagte Donatella Medici und gab ihrer Stimme einen bestimmenden Ton, spitzte ihren Mund und stellte die Cappuccinotasse auf das Barocktischchen neben ihren Sessel. »Nicht, dass du mir wieder mit einer Ausrede kommst!«
Robert lächelte.
»Aber nein, Mamma, auf keinen Fall. Du musst mir allerdings versprechen, dass du nicht wieder irgendeine Heiratswütige einlädst.«
Donatella zog ihre Augenbrauen nach oben.
»Das habe ich noch nie gemacht. Allerdings kann ich wohl kaum verhindern, dass eine Tochter aus gutem Hause ein Auge auf dich wirft. Übrigens, hast du mal wieder etwas von Francesca Sacconi gehört?«
Robert schüttelte den Kopf.
»Nein, in diesem Jahr noch nicht. Aber ich hätte mich ja auch melden können. Vielleicht werde ich es in den nächsten Tagen versuchen.«
Er versuchte, so schnell wie möglich das Thema zu wechseln.
»Außerdem werde ich zu deinem Empfang ohnehin in Begleitung erscheinen.«
Donatella richtete sich in ihrem Sessel auf.
»So? Und wer ist sie? Hatte ich schon mal die Ehre?«
Robert überlegte für ein paar Sekunden. Sollte er Elena mitnehmen? Nein, auf keinen Fall. Das würde das Interesse auf Alexandria und die damit zusammenhängenden Ereignisse lenken. Nein, er würde Maria bitten. Die war Florentinerin und konnte mindestens so arrogant sein wie seine Familie. Er räusperte sich.
»Es ist Signora Maria Furini. Sie lebt hier in Florenz.«
Donatella schaute ihn forschend an.
»Furini? Eine Familie dieses Namens ist mir nicht bekannt. Was machen ihre
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