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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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witzelte Leo. Er hatte das Bedürfnis, die angespannte Stimmung aufzulockern.
    Der Direktor blieb stockernst. »Leo, ich muss dir etwas sagen.«
    Der schluckte. Was kam jetzt?
    »Die Traumgeborene«, erklärte Dabelstein, »hatte offenbar einen Verstand. Herr Okumus berichtete mir, sie habe sich einer seltsamen Blubbersprache bedient. Derlei zu erschaffen verlangt dem Schlafverwandler ein hohes Maß an Können ab. Dir ist sie so einfach – wie hast du das ausgedrückt? – ›aus dem Traum gerutscht‹. Das kann kein Zufall sein. Ich bin überzeugt, dass du ein Naturtalent bist, wie es nur alle tausend Jahre vorkommt.«
    »Ist das jetzt gut oder schlecht für mich?«
    »Das hängt ganz allein von dir ab, Leo. Sich von der Masse abzuheben mag zunächst beängstigend sein. Oft führt die Besonderheit zu Einsamkeit. Die Krux bei solchen Begabungen, wie du sie hast, ist die damit verbundene Verantwortung. Nimmst du sie mutig an, kannst du zum Wohle der Gemeinschaft viel Gutes bewirken. Verstehst du dein Talent nur als Vorteil im Kampf um Karriere, Geld und Ansehen, stehst du irgendwann
vor einer großen Leere, in der es keine Liebe, keinen Sinn und keine Erfüllung gibt.«
    Leo meinte den Druck der Verantwortung bereits wie ein schweres Joch auf den Schultern zu spüren. Er seufzte. »Hätte ich Bilibibb nur da gelassen, wo sie sicher ist: in meinen Träumen. Jetzt schwimmt sie im Bodensee. Vielleicht bekommt ihr das Süßwasser nicht. Und als Einzige ihrer Art ist sie bestimmt auch einsam.«
    »Eine richtige Meerjungfrau findet immer den Weg in ihr angestammtes Element«, tröstete ihn Dabelstein. »Sie kann den Rhein hinunter in die Nordsee schwimmen. Falls sie die Wasserverschmutzung nicht umbringt, hat sie gute Chancen im Atlantik andere Artgenossinnen zu treffen. Es ist ja nicht so, dass du der erste Schlafverwandler bist, der eine Nixe erschaffen hat. In den Weltmeeren dürften sich etliche tummeln.«
    »Ist das Ihr Ernst?«
    »Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Was denkst du denn, woher die vielen Geschichten von den Meeresnymphen kommen?«
    Leo hatte es die Sprache verschlagen. Er kniff sich unter der Tischplatte in den Handrücken. Es tat weh. Also war es kein Traum und dieser Mann mit der beeindruckenden Visitenkarte verkohlte ihn auch nicht. Dabelstein glaubte wirklich, was er erzählte.
    Weil Leo beharrlich schwieg, fügte der Direktor hinzu: »Ich bin verpflichtet, Herrn Zaki von den jüngsten Geschehnissen in Kenntnis zu setzen.«
    Das klang ernst. »Muss das denn sein?«
    »Wie du weißt, ist die Traumakademie eine Stiftung und Robert Zaki der alleinige Stifter. In den Satzungen der Schule
ist klar festgelegt, dass ihm jeder Schlafverwandler gemeldet wird.«
    Leo schluckte. Das hörte sich an, als litte er unter einer extrem ansteckenden Krankheit. Er kam sich wie ein Aussätziger vor. Nicht einer mit Lepra, sondern ein am Geist verstümmelter, der für die Menschheit eine Gefahr darstellte.

R egeln und ein detaillierter Tagesplan bestimmten das Leben im Internat. So werde dem Alltag eine Struktur gegeben und das Bewusstsein der Schüler für die Eigenverantwortung geschärft, hatte der Direktor bei seiner Begrüßungsansprache erklärt. Nichts sei zersetzender für den sich entwickelnden Charakter als Schlendrian.
    Um sechs Uhr lief Mark Laurel durch den Flur und weckte seine Untertanen. Sofern man nicht gerade Seejungfern auswilderte, stand dreißig Minuten später der Morgenlauf auf dem Programm. Montags strampelte sich nur Benno Kowalski ab oder wer sonst noch gegen die Regeln verstoßen hatte. Sport wurde in der Akademie überhaupt großgeschrieben, frei nach der Devise »In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist«.
    Nach dem Frühstück und der allmorgendlichen Schulversammlung begann der Unterricht. Gewöhnlich war er in Neunzigminutenblöcke unterteilt. Im Stundenplan standen Fächer, von denen Leo bisher nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab: Traumgeschichte, Traumdeutung, Traumkunst sowie Theorie und Praxis des luziden Träumens, kurz TPLT. Besonders gespannt war er darauf, die Funktionsweise und den Gebrauch der DreamCap kennenzulernen. Wie an den staatlichen Bildungseinrichtungen
unterrichteten die Lehrer auch Deutsch, Mathe, Bio, Physik und noch einiges mehr. Leo kam in die Klasse von Benno und Orla Flaith. Ausgerechnet Okkultus stand den achtzehn Schülern als »Ordinarius« vor.
    Nach der Aussprache mit Doktor Dabelstein brachte Leo einen

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