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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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passende Vorlage gab es im Gemeinschaftsraum des Westflügels zu bewundern, wo Fotos von Gewinnerklassen aus verschiedenen Jahren hingen. Die Siegertrophäe war ein hässlicher, silberner Eimer mit zwei Henkeln an den Seiten.
    Gerade eben hatte er davon geträumt, wie er in Dabelsteins Büro marschiert war und das Ding geklaut hatte, indem er einfach mit beiden Händen in den Tresor langte und es durch die massive Stahltür herauszog. Verrückt! Noch irrsinniger war, dass er es gewollt hatte.
    Im Zustand zwischen Schlafen und dem Aufwachen – Okumus nannte ihn die Borderland-Phase  – war er sich überraschend seines Ichs gewahr geworden. Bis dahin hatte er sich stets vom Traumgeschehen mittragen lassen wie ein Reisender, der auf
einem Floß ohne Ruder in unbekannte Gefilde vorstößt. Im Schlaf vom Unbewussten ins Bewusste vorzustoßen war so, als drücke einem plötzlich jemand den Steuerhebel eines Außenbordmotors in die Hand. Ein verstörendes Erlebnis. Im ersten Moment war Leo zu verwirrt gewesen, um damit etwas anfangen zu können. Als er jedoch die Zeichnung in seiner Handfläche sah, erinnerte er sich an das »Ziel«. Von diesem Augenblick an schien es, als sei der Außenborder angesprungen und er könne selbst kontrollieren, wo die Reise hingehen sollte. In Träumen ist eben alles erlaubt und alles möglich. Träume sind grenzenlos. Offenbar hatte Benno recht gehabt.
    Wie mit Orla geübt, hatte Leo sich nach hinten fallen lassen und sich so von seinem physischen Leib gelöst. Im Traumkörper lief er dann durch die geschlossene Tür, hinunter ins Büro des Direktors und kassierte den Eimer ein.
    Leo war zu aufgeregt von dieser Erfahrung, um noch länger liegen zu bleiben. Er schlug die Bettdecke zurück. Und erstarrte.
    Neben ihm lag der Pokal.
    Ihn durchfuhr ein Zittern. Er verspürte Angst, Angst vor sich selbst. Wie hatte er das jetzt wieder angestellt? Sich als Schlafwandler mal danebenzubenehmen, war für ihn schon nichts Besonderes mehr gewesen. Bis die Seejungfer sein außergewöhnliches Talent als Schlaf ver wandler zum Vorschein gebracht hatte. Und nun konnte er mithilfe seines Traumkörpers sogar Gegenstände durch Wände bewegen und wegtragen? Irgendwie unheimlich. Und aufregend!
    Das andere Problem war, was anfangen mit der Trophäe? Er wollte nicht erneut unangenehm auffallen. Dabelstein hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt und Mark Laurel duldete keine Rivalen neben sich. Leo kam eine Idee. Sein Blick glitt erst zu Benno, der unüberhörbar schlief, und danach zum Wecker. Es
war kurz vor fünf. Früh genug, um … Ein diebisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
    Leise schlüpfte er aus dem Bett, hinein in Jeans und T-Shirt und samt Pokal auf den dunklen Gang hinaus. Von irgendwo ertönte lautes Schnarchen. Ansonsten war alles still. Auf Zehenspitzen lief Leo weiter zu den Treppen. Im Eingangsbereich des Südflügels gab es eine Vitrine mit verschiedenen Trophäen, die Schülern der Traumakademie auf externen Wettbewerben gewonnen hatten. Die Vorstellung von Okumus’ dämlichem Gesicht, wenn er das versilberte Prunkstück der Schule inmitten der billigen Teller, Plaketten und Kelche entdeckte, verlieh Leo Flügel.
    Kurz bevor er die erste Stufe nahm, hörte er ein leises Quietschen hinter sich, vermutlich von einer Schuhsohle. Er drückte sich mit dem Rücken an die Wand und spähte um die Ecke zurück in den Korridor.
    Da schlich jemand durch die Dunkelheit. Die lange, schmale Gestalt war unverwechselbar. Schlief dieser Mark Schröder eigentlich nie? Bestimmt war der Flüpo auch gestern hier herumgegeistert und hatte beim ersten Schrei aus Bennos Zimmer sofort Alarm geschlagen. Leo eilte auf Zehenspitzen die Treppe hinab. Hoffentlich hatte der elende Schnüffler ihn nicht gehört.
    Im Erdgeschoss huschte er unter dem Kreuzrippengewölbe des Korridors hindurch. Vom Innenhof fiel graues Morgenlicht durch die Fenster. Zwischen diesen standen Holzschränke. Sie dienten der Aufbewahrung von Sportkleidung, Musikinstrumenten und anderen Utensilien, für die auf den Zimmern zu wenig Platz war. Plötzlich hörte er Schritte. Hatte er Mark doch nicht abgehängt? Rasch duckte er sich in die Schatten unter einer Fensterbank und spähte in den Gang.
    Er konnte niemanden sehen. Oft hallten Geräusche über
weite Entfernungen durchs Schloss, wenn der Schall wie hier nur auf die glatten weißen Wände und großen Bodenplatten aus schwarzgrauem Stein traf. Ob Huber schon auf Rundgang war? Der

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