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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Dschungel und seine Stimmen mit jedem Schritt in weitere Ferne. Dann endete der Tunnel.
    Leo und Orla betraten eine moosbewachsene Lichtung. Es war ein Ort von ganz besonderer Ausstrahlung. Er glich einem Dom, ungefähr fünfundzwanzig Meter im Durchmesser, die höchsten Bäume des Feuerwaldes bildeten seine Kuppel. Dunstschleier stiegen darin auf, um im Sonnenlicht zu vergehen. In der Mitte des Platzes lag ein Relief am Boden: das Vogel-Auge im Dreieck und Kreis. Die runde Steintafel war stark verwittert, fast schwarz und großflächig mit Moos bedeckt. Leo blieb davor
stehen. Er schätzte die Entfernung bis zur gegenüberliegenden Seite auf vier Meter.
    »Das Königszeichen«, sagte Orla neben ihm. Ihre Blicke suchten unablässig das Dickicht nach Gefahren ab. »Jetzt bring uns ins Haus des Rates.«
    Am liebsten hätte er gelacht. »Kein Problem. Wenn du mir sagst, wie.«
    »Benutz das Auge. Sei das Auge. Im Traum kann es dich überallhin führen.«
    Er stöhnte. Mit einem unguten Gefühl setzte er erst den einen, dann den anderen Fuß auf die Steinplatte. Deutlich spürte er die Kraft dieses besonderen Ortes, wusste aber nichts damit anzufangen. Das Auge benutzen, grübelte er. Wie sollte er das anstellen? Er trat in den Kreis, überschritt die Grundlinie des Dreiecks und ließ sich vor dem Vogel auf ein Knie nieder. Die Umrisse des Reliefs ragten fast zwei Fingerbreit in die Höhe. Er streckte die Hand nach dem stilisierten Auge aus, das zugleich den angewinkelten Flügel des Tieres bildete. Sei das Auge …
    Leo schnappte nach Luft, weil unversehens ein zauberhaftes Funkeln den grünen Dom erfüllte. Die Bäume mit ihren Luftwurzeln und Schlingpflanzen schienen sich in uralte Riesen mit langen Bärten zu verwandeln, die ihn umringten und neugierig zu ihm herabblickten. Das Trugbild war nur flüchtig und wurde bald von gleißenden Schleiern überstrahlt, die um ihn herumjagten wie ein Tornado aus Licht. Allmählich tauchte aus dem Gewirbel etwas Glitzerndes auf, eine eng mit Kristallspitzen besetzte Kugel. Sie schwebte über Leo und war riesengroß.
    Plötzlich spürte er an der Schulter einen heftigen Stoß, der ihn umwarf und das Bild des Kristalls wegfegte.
    »Komm zu dir, Leo!«, rief Orla aufgeregt. Sie stand neben ihm und streckte ihm die Linke hin.

    Benommen packte er zu und ließ sich auf die Beine helfen. »Was ist denn los?«
    »Wächter!«, stieß sie hervor. »Ich habe zwei gesehen. Bestimmt sind noch mehr da …«
    Weiter kam sie nicht, weil jäh eine geharnischte Kreatur aus dem Dickicht hervorbrach. Ein Hyänenschwein. Es war groß wie ein Löwe und stürmte mit einer gewaltigen, doppelschneidigen Streitaxt auf den Jungen und das Mädchen zu. Orla ließ die Hand ihres Freundes los und lief dem Angreifer entgegen.
    »Bist du wahnsinnig!?«, schrie Leo. Er zückte den Stachel, den er seit Bennos Befreiung aus der vereisten Igelratte im Gürtel trug.
    Am Rand der Steintafel trafen sich die Kämpfer. Ihre Waffen klirrten aufeinander. Die Illúsierin war klug genug, den mörderischen Hieb des Gegners zur Seite abzulenken, ihn aufzuhalten hätte sie nicht vermocht. Mit atemberaubender Schnelligkeit duckte sie sich unter der breiten Schneide hindurch, ließ Ariki herumschwingen und trennte dem Krieger einen Fuß ab. Er brüllte vor Schmerzen und zügelloser Wut. Orla drehte sich wie eine Primaballerina, so als sei ihr mächtiges Schwert leicht wie ein Seidenfächer. Ehe Zuls Wächter ein zweites Mal zum Schlag kommen konnte, hatte sie ihre Pirouette vollendet und bohrte ihm die Klinge ins Herz.
    »Ich vermute mal, das war euer stärkster Streiter«, schrie sie trotzig ins Dickicht. Ihr Gesicht glühte vor zorniger Entschlossenheit.
    Alles war so schnell gegangen, dass Leo jetzt erst seine Benommenheit abschüttelte. Um ihn herum raschelte es beängstigend. Wohin er auch blickte, überall entdeckte er Gestalten im Blattwerk. Mit gefletschten Zähnen und triefenden Lefzen schob sich ein ganzes Rudel Hyänenschweine auf die Lichtung. Die meisten trugen Äxte, andere waren mit Rundbogen,
gezackten Säbeln und langen Dolchen bewaffnet. Gegen diese Übermacht konnten ein Schwert und ein Eiszapfen unmöglich standhalten.
    Leos Sorge galt vor allem seiner Freundin. Man hatte ihr die Eltern genommen und zurecht forderte sie die Bestrafung der Schuldigen. Doch war sie noch Herr ihrer Sinne? Anscheinend sann sie darauf, so viele von Refi Zuls Schergen wie möglich mit in den Tod zu nehmen. So darf es nicht enden,

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