Das Geheimnis der Wellen
sie eine Stunde wie ein Stein.«
»Sie war so aktiv und unabhängig.«
»Als ob ich das nicht wüsste. Trotzdem, ein Stündchen Schlaf schadet nichts. Kurz nach ihrem Sturz war sie höchstens eine Stunde am Stück wach. Sie hat sich überraschend gut erholt. Aber etwas anderes hätte ich von ihr auch gar nicht erwartet. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Kommen Sie, ich schenke Ihnen ein Glas ein. Ich habe gerade überlegt, womit ich helfen kann. Ob ich etwas zum Abendessen beisteuern kann oder so.«
»Oh, was die Details angeht, greife ich gern auf Sie zurück. Ich schlage mich auch recht wacker in der Küche, vorausgesetzt, Alice lässt mich. Aber ich bin keine Martha Stewart. Sie sollen eine fantastische Köchin sein.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Hester sagt das, außerdem sehe ich es mit eigenen Augen. Eli nimmt zu, statt weiter Gewicht zu verlieren. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.«
»Ich koche gern. Und ihm ist wieder eingefallen, wie gern er isst.«
»Ihm ist auch wieder eingefallen, wie sehr er Hunde, Strandspaziergänge und Gesellschaft mag. Danke, Abra.«
»Ich erinnere ihn gern daran.«
»Das soll Sie nicht in Verlegenheit bringen. Wir haben uns schon gut verstanden, bevor Sie mit Eli zusammengekommen sind.«
»Sie haben recht.« Abra seufzte. »Ich war lang mit niemandem mehr zusammen, erst recht nicht mit Familienanschluss. Wollen Sie die Wahrheit wissen? Ich bin so daran gewöhnt, alles selbst zu organisieren, dass ich kaum weiß, wie ich mich als Gast verhalten soll.«
»Wieso betrachten wir uns nicht einfach alle als eine Familie? Für Hester sind Sie ohnehin längst ein Familienmitglied. Und für Eli auch. Also, wollen wir uns duzen?«
»Gern! Das fällt mir viel leichter.«
»Ich habe Max gebeten, deine Sachen in Elis Zimmer zu stellen.« Lissa lächelte herzlich und zwinkerte ihr zu.
Nach einem überraschten Lachen nickte Abra. »Mir fällt ein Stein vom Herzen. Wieso sagst du mir nicht, was es am Wochenende zu essen geben soll, damit ich mich ein bisschen darum kümmern kann?«
»Gern. Aber da wir im Moment Zeit für uns haben, möchte ich dich bitten, mir genau zu erzählen, was eigentlich los war. Ich weiß, dass Eli unter dem Vorwand, seinen reizenden Hund und Sadie auszuführen, nach draußen gegangen ist, um seinem Vater zu erzählen, was er uns bisher verheimlicht hat. Er will nicht, dass wir Frauen uns unsere hübschen Köpfe zerbrechen.«
Abra ballte die Hände zu Fäusten, die sie in die Hüften gestemmt hatte. »Ach ja?«
»Ganz so schlimm ist es auch wieder nicht, aber so ähnlich. Ich habe das letzte Jahr mitgelitten, Abra. Jeden einzelnen Tag, jede einzelne Stunde. Ich möchte wissen, was mit meinem Sohn los ist.«
»Dann werde ich es dir erzählen.«
*
Hoffentlich hatte sie das Richtige getan. Für Abra war nichts anderes infrage gekommen. Direkte Fragen verlangen direkte Antworten. Nachdem sie sich Lissa anvertraut hatte, waren seine Eltern auf dem neuesten Stand.
Schluss mit dem Sich-bedeckt-Halten. Schluss mit dem Verheimlichen unangenehmer Details.
Aber tat sie im Moment nicht genau das? Eli hatte alles Recht der Welt, von der ihr untergeschobenen Waffe zu erfahren, von der Hausdurchsuchung. Traute sie ihm etwa nicht zu, dass er mit der Wahrheit umgehen konnte?
»Da bist du ja.« Ein windzerzauster Eli kam lächelnd auf sie zu. »Barbie ist zu meinem Vater und zu ihrer neuen besten Freundin Sadie übergelaufen. Ich finde, sie ist ein bisschen zu zutraulich.«
»Zum Glück ist sie kastriert. Sonst würde sie sich von jedem gut aussehenden Rüden verführen lassen.«
»Ich bin wirklich froh, dass du gekommen bist. Ich habe meinem Vater alles erzählt, alle beunruhigenden Details. Ich dachte, es wird langsam Zeit.«
»Gut, denn ich habe mit deiner Mutter genau dasselbe getan.«
»Mit meiner …«
»Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, Eli. Sie hat mich direkt danach gefragt. Und ich habe ihr geantwortet. Außerdem: Wenn sie Bescheid weiß, muss sie nicht grübeln.«
»Ich wollte einfach nur, dass sie sich ein paar Tage lang so richtig entspannt.«
»Das kann ich gut verstehen. Ich will genau dasselbe, und deshalb habe ich – ist das Hester?«
Bei dem lauten Schrei war Eli aus dem Zimmer gerannt, bevor Abra den Satz beenden konnte. Er eilte direkt ins Schlafzimmer seiner Großmutter.
Abra folgte ihm dicht auf den Fersen und fand eine kreidebleiche Hester vor, die senkrecht im Bett saß. Sie keuchte. Ihre Hände, die sie nach Eli
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