Das Geheimnis der Wellen
»Zu spät«, hob sie an, aber ihr Lächeln erlosch, als sie sein Gesicht sah. »Was ist? Was ist passiert?«
»Nichts.« Nicht mehr als sonst, dachte er. »Es ist einfach kein guter Moment.«
»Haben Sie einen anderen Termin? Gehen Sie tanzen? Wartet oben eine nackte Frau auf Sie? Nein?«, sagte sie, bevor er etwas erwidern konnte. »Dann ist es ein Moment wie jeder andere.«
Seine Niedergeschlagenheit verwandelte sich in Wut. »Und wie wär’s damit? Nein heißt nein.«
»Ein durchaus überzeugendes Argument, und ich weiß sehr wohl, dass ich Sie bedränge und nerve. Vielleicht, weil ich Hester versprochen habe zu helfen. Vielleicht, weil ich es einfach nicht ertragen kann zuzusehen, wie jemand Schmerzen hat. Warum schließen wir keinen Kompromiss?«
Mist, das erinnerte ihn an das Telefonat mit seiner Großmutter.
»Und der wäre?«
»Geben Sie mir eine Viertelstunde. Wenn es Ihnen nach fünfzehn Minuten auf meinem Massagetisch nicht besser geht, packe ich meine Sachen zusammen, verschwinde und werde das Thema nie wieder anschneiden.«
»Zehn Minuten.«
»Na gut, zehn«, pflichtete sie ihm bei. »Wo soll ich den Tisch aufbauen? In Ihrem Zimmer ist viel Platz.«
»Hier geht es doch auch.« Aber dann zeigte er auf den Salon. Von dort aus konnte er sie schneller wieder loswerden.
»Gut. Wie wär’s, wenn Sie Feuer im Kamin machen, während ich alles aufbaue? Es sollte warm im Zimmer sein.«
Er hatte ohnehin vorgehabt, den Kamin anzumachen. Er hatte sich ablenken lassen, jedes Zeitgefühl verloren. Er konnte Feuer im Kamin machen und ihr zehn Minuten Zeit geben. Und dann sollte sie ihn verdammt noch mal allein lassen.
Sie ging ihm auf die Nerven.
Er ging vor dem Kamin in die Hocke, um Anzündholz aufzuschichten. »Haben Sie keine Angst?«, erkundigte er sich. »Allein mit mir?«
Abra öffnete den Reißverschluss ihrer Tragetasche. »Warum sollte ich?«
»Viele glauben, ich hätte meine Frau umgebracht.«
»Viele glauben, der Treibhauseffekt ist bloß erfunden. Ich sehe das anders.«
»Sie kennen mich nicht. Sie wissen nicht, wozu ich unter bestimmten Umständen fähig bin.«
Sie stellte den Tisch auf, verstaute die Hülle mit präzisen, geübten Bewegungen und ohne jede Eile. »Ich weiß nicht, wozu Sie unter bestimmten Umständen fähig sind. Aber ich weiß, dass Sie Ihre Frau nicht umgebracht haben.«
Der ruhige, gelassene Tonfall machte ihn wütend. »Warum? Weil meine Großmutter mich nicht für einen Mörder hält?«
»Zum Beispiel.« Sie legte eine Decke auf den Massagetisch und darauf ein Laken. »Hester ist eine intelligente, selbstkritische Frau. Ich bin ihr wichtig. Hätte sie nur den Hauch eines Zweifels, hätte sie mir geraten, mich von Ihnen fernzuhalten. Aber das ist nur ein Grund von vielen.«
Während sie sprach, verteilte sie mehrere Kerzen im Raum und zündete sie an. »Ich arbeite für Ihre Großmutter, bin mit ihr befreundet. Ich wohne in Whiskey Beach, sozusagen auf Landon-Territorium. Deshalb habe ich die Sache verfolgt.«
Die drohende dunkle Wolke der Depression schob sich wieder über ihn. »Da sind Sie nicht die Einzige.«
»Das ist ganz natürlich, menschlich. Auch, dass man Sie ablehnt, über Sie redet, gewisse Schlussfolgerungen zieht. Ich habe ebenfalls meine Schlussfolgerungen gezogen. Ich habe Sie im Fernsehen erlebt, in den Zeitungen, im Internet. Und was ich da gesehen habe, das war Schock, Trauer, aber keine Schuld. Und was sehe ich jetzt? Stress, Wut, Frust. Keine Schuld.«
Sie zog ein Haargummi vom Handgelenk und machte sich einen Pferdeschwanz. »Ich glaube nicht, dass Mörder schlecht schlafen. Außerdem sind Sie nicht dumm. Wie gesagt, ich habe mehrere Gründe. Warum sollten Sie Ihre Frau ausgerechnet an dem Tag umbringen, an dem Sie sich in aller Öffentlichkeit mit ihr gestritten haben? An dem Tag, an dem Sie erfahren haben, dass sie bei einer Scheidung nicht gut dastehen wird?«
»Von vorsätzlichem Mord war nie die Rede. Ich war sauer. Ein Verbrechen aus Leidenschaft.«
»Das ist Unsinn«, sagte sie und holte ihr Massageöl heraus. »Sie waren so leidenschaftlich, dass Sie zu sich nach Hause gegangen sind, um drei Gegenstände zu holen – Dinge, die vermutlich Ihnen gehört haben? Die Mordanklage gegen Sie hatte keinen Bestand, Eli, weil die Beweise nicht ausgereicht haben. Man konnte nachweisen, wann Sie das Haus betreten haben, weil Sie die Alarmanlage abgestellt haben. Fest steht auch, wann Sie den Notruf gewählt haben. Außerdem ist bekannt,
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