Das Geheimnis der Wellen
etwas würde sie nie vergessen.
Wirklich? Jedes einzelne? Auch das in Hesters Fitnessraum? Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, sich vorzustellen, wie sie durchs Haus gegangen war und die Fenster geschlossen hatte.
Aber sie konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern. Sie war sich nicht sicher.
»Mist, Mist, Mist.«
Abra konnte einfach nicht entspannen, bevor sie nicht nachgesehen hatte. Außerdem würde es nur wenige Minuten dauern. Der Truthahneintopf war fertig. Sie würde den Behälter mit Elis Anteil gleich mitnehmen.
Sie nahm ihn aus dem Kühlschrank, zog ihre Kuschelsocken aus und schlüpfte in alte Schuhe. Sie zog ihren Mantel über den Schlafanzug, griff nach einer Mütze und setzte sie auf dem Weg zum Wagen auf.
»Fünf, höchstens zehn Minuten, und dann sitze ich mit einem Glas Wein zu Hause.«
Sie fuhr nach Bluff House, wunderte sich nicht über das Donnergrollen. Nicht selten herrschte im März Aprilwetter. Heute ein Gewitter, morgen Schnee oder Sonnenschein, alles war möglich.
Abra rannte durch den Regen direkt auf die Haustür zu, die Schlüssel in der einen, den Truthahneintopf in der anderen Hand.
Sie stieß die Tür mit der Hüfte zu und wollte das Licht anmachen, um den Alarmcode eingeben zu können.
»Na, ganz toll«, murmelte sie, als es im Flur dunkel blieb. Sie wusste, wie anfällig die elektrischen Leitungen in Bluff House und das gesamte Stromnetz von Whiskey Beach bei Gewitter waren. Sie machte die kleine Taschenlampe an ihrem Schlüsselbund an und folgte dem dünnen Lichtstrahl in die Küche.
Sie würde die Fenster kontrollieren und dann den Stromausfall sowie die Tatsache melden, dass der Notstromgenerator ausgefallen war. Schon wieder. Wenn Hester das Ungetüm doch endlich austauschen würde. Sie fragte sich, wie Hester bei einem ernsthaften Stromausfall zurechtkommen wollte – auch wenn die Frau behauptete, sie habe schon viele solche Ausfälle erlebt und wisse sich zu helfen.
In der Küche nahm Abra eine richtige Taschenlampe aus der Schublade. Vielleicht sollte sie in den Keller gehen und sich den Generator anschauen. Natürlich wusste sie nicht, wonach sie schauen musste, aber vielleicht …
Sie ging zur Tür und hielt inne. Dunkelheit, Kälte, Feuchtigkeit. Spinnen. Lieber nicht!
Sie würde Eli einfach einen Zettel hinlegen. Wenn er mitten in der Nacht nach Hause kam, und es gab keinen Strom, keine Heizung und kein Licht, konnte er auf ihrem Sofa über nachten. Aber zuerst würde sie die Fenster kontrollieren.
Sie eilte nach oben. Natürlich war das Fenster geschlossen, um das sie sich Sorgen gemacht hatte. Und natürlich konnte sie sich in diesem Augenblick ganz genau daran erinnern, es zugezogen und verriegelt zu haben.
Sie ging wieder nach unten, in Richtung Küche. Sie ließ sich nicht so leicht Angst einjagen, aber sie wollte nach Hause, weg aus diesem großen, dunklen und leeren Gebäude. Heim in ihr gemütliches Cottage.
Wieder donnerte es, und sie zuckte zusammen, musste über sich selbst lachen.
Als er sie von hinten packte, fiel Abra die Taschenlampe aus der Hand. Einen winzigen Moment lang überfiel sie die nackte Panik. Sie wehrte sich vergeblich, zerrte an dem Arm, der sich fest um ihren Hals gelegt hatte.
Sie dachte an ein Messer, das man ihr an den Hals hielt, an die Klinge, die über ihre Rippen fuhr, ihr tief ins Fleisch schnitt. Ihr entwich ein entsetzter Schrei, der tief aus ihren Eingeweiden kam, bis der Arm ihn in ein ersticktes Keuchen verwandelte.
Ihr blieb die Luft weg. Alles begann sich zu drehen.
Dann setzte ihr Überlebensinstinkt ein.
Solarplexus – ein fester Stoß mit dem Ellbogen. Fuß – voll drauftreten. Nase – eine schnelle Drehung, als sich sein Griff lockerte. Ein Schlag mit der Handkante in die Richtung, in der sie sein Gesicht vermutete. Und dann ein schneller, wütender Kniestoß – in den Schritt.
Sofort danach rannte sie los. Erneut von ihrem Überlebens instinkt getrieben, eilte sie blind zur Tür. Sie prallte so hart dagegen, dass ihre Arme schmerzten, aber sie ließ nicht locker. Sie riss die Tür auf, stürzte zu ihrem Wagen und zog mit zitternden Händen den Autoschlüssel aus ihrer Tasche.
»Bloß weg hier, nichts wie weg!«
Sie warf sich ins Auto, rammte den Schlüssel ins Zündschloss. Mit quietschenden Reifen legte sie den Rückwärtsgang ein. Dann riss sie das Lenkrad herum, legte den ersten Gang ein und drückte aufs Gaspedal.
Ohne nachzudenken, raste sie an ihrem Cottage vorbei und
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