Das Geheimnis der Wunderkinder
denken.«
»Ich glaube, du würdest noch viel mehr herrlich finden.«
»Weil mein Mann schon fünf Jahre tot ist?«
»Janet, so habe ich das nicht gemeint.«
»Tim, lassen wir das. Du solltest jetzt nicht noch den netten Abend verderben. Bleibt es bei Sonnabend?«
»Ich rufe dich an«, erwiderte er.
Die Tür wurde wieder geöffnet und dann geschlossen. James holte tief Luft und schlich sich dann lautlos in sein Zimmer.
Zu James’ großer Überraschung rief Mr. Timothy Fisher bereits am folgenden Abend an und wurde von Mrs. Bagley sehr herzlich begrüßt. Ihre Unterhaltung war unzusammenhängend und albern, besonders wenn man nur eine Seite hören konnte. Es dauerte fast zehn Minuten, ihre Samstag-Verabredung noch einmal zu bestätigen, und das war die zweite Überraschung für James.
Der Samstagabend war eine Wiederholung von Mittwoch. Die beiden blieben länger aus und legten dann mindestens eine Stunde lang das Wohnzimmer in Beschlag, bevor das Hin und Her wegen des Nach-Hause-Gehens anfing. Mit einigen geringen Abweichungen im Dialog und längeren und häufigeren Schweigepausen verlief es genau wie am Mittwoch, bis Tim Fisher endlich bedauernd zugab, daß es nun wirklich für ihn an der Zeit wäre zu gehen.
Sie trennten sich schließlich nach einer letzten fünfzehnminütigen Unterredung an der Haustür, in der von Sonntag, Montag und Dienstag die Rede war, bis man sich zu guter Letzt auf Mittwoch einigte.
James Holden ging in dieser Nacht überzeugt zu Bett, daß es in einer Stadt von etwa zweitausend Einwohnern entschieden zu wenig attraktive Übriggebliebene gab, unter denen Mrs. Bagley wählen konnte, und daß sie deshalb mit Tim Fisher vorliebnahm.
Aber als diese Verbindung weiter wuchs, wunderte er sich noch mehr. Eine Person, die gezwungen ist, zweite Wahl zu akzeptieren, tat dies seiner Meinung nach mit einer gewissen Resignation und nicht mit freudigem Lächeln und glänzenden Augen.
James suchte die Antwort in seine Büchern, aber über dieses Thema gaben sie keine Auskunft. Den Gedanken, sich an die Stadtbibliothek zu wenden, verwarf er wieder und griff auf Zeitungsinserate zurück. Er bestellte die Bücher per Post und erhielt Bände mit medizinischen Abhandlungen, psychologischen Texten und ein Buch über Geburtshilfe, das ihn davon überzeugte, daß Kinderkriegen sowohl selten als auch lebensgefährlich ist.
Er las das Buch Von der Liebe besessen, konnte jedoch mit den vom Autor dargestellten mannigfaltigen Formen der Liebe nichts anfangen, da er nichts davon wußte und das Buch nicht mit Anmerkungen und Erklärungen versehen war.
Er arbeitete sich durch die Kinsey-Bücher und erfuhr eine Menge statistische Zahlen über das menschliche Verhalten, die ihm gar nichts sagten.
Da nun also keiner dieser Texte sich die Mühe machte, zu erklären, warum eine Frau »ja« sagt, wenn sie »nein« meint und umgekehrt, oder warum sie sich an einen Mann klammert und ihm gleichzeitig erklärt, er müsse gehen, blieb James unwissend. Von Lord Byron, Shelley oder Keats hätte er zweifellos mehr darüber lernen können als von Kinsey oder »Einführung in Sex«.
Glücklicherweise studierte James alles diesbezügliche Material nicht mit Hilfe seiner Maschine, sonst wäre er bestimmt geistig krank geworden, denn er war noch nicht fähig, das eine zu verstehen, über das mehr Papier verschwendet und weniger gesagt worden ist als über irgendein anderes Thema.
James näherte sich dem Problem rein akademisch, und was seine eigenen Empfindungen betraf, so hätte er genausogut über den Lebenszyklus eines Käfers lesen können.
Einige Punkte konnte er nach dem Studium der Bücher jedoch nun identifizieren. Tim Fisher wünschte offensichtlich außereheliche Beziehungen mit Mrs. Bagley – oder waren es voreheliche Beziehungen? Wahrscheinlich beides. Die Logik sagte ihm, daß Mrs. Bagley, da sie mit Marthas Vater verheiratet gewesen war, kaum voreheliche Beziehungen aufnehmen konnte, obgleich dies bei Tim als Junggesellen wohl möglich war. Andererseits würden es auch bei Tim keine vorehelichen sein, wenn er nicht die Absicht hatte, Mrs. Bagley zu heiraten. Also mußten es außereheliche Beziehungen sein.
Mit einem Verstand, der eine gelinde Ahnung von den Fakten des Lebens hatte, wenn auch verzerrt durch die Augen eines Neunjährigen, beobachtete und belauschte James Holden weiterhin interessiert Mrs. Bagley und Tim Fisher.
Mrs. Bagley ihrerseits war sich durchaus nicht bewußt, daß sie so
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