Das Geheimnis des Falken
selbstverständlich, Signor Beo«, sagte Jacopo und fragte dann – ich war sehr schnell gegangen und erhitzt – »ist irgend etwas geschehen?«
»Ja, es hat einen Zwischenfall oben auf der Piazza Carlo gegeben«, sagte ich, »und darüber platzte die ganze Party. Aldo kümmert sich zur Zeit um die Sache.«
Er machte ein besorgtes Gesicht. Dann führte er mich zu Aldos Haustür, die er mit seinem eigenen Schlüssel öffnete.
»Ich kann mir vorstellen«, sagte er und knipste das Licht an, »daß die Studenten in dieser Woche immer besonders viel Theater machen, wo doch der Examenstag und obendrein das Festival fällig sind. Und dann noch Her Einbruch Sonntag nacht. War es wieder etwas in der Richtung?«
»Ja«, sagte ich, »Aldo wird es Ihnen sicher erzählen.«
Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer und fragte, ob ich etwas zu trinken wollte. Ich sagte nein. Schließlich konnte ich mir selber einen Drink nehmen, wenn ich Lust darauf bekam. Er zögerte einen Augenblick, für den Fall, daß ich vielleicht noch mit ihm schwatzen wollte, kam dann aber dank des Taktgefühls, das er in langjährigem Umgang mit meinem Bruder erworben hatte, zum Schluß, daß ich allein sein wollte. So zog er sich zurück in sein eigenes Reich.
Ich wanderte im Zimmer umher, schaute aus dem Fenster, betrachtete das Bild meines Vaters und warf mich schließlich in einen Sessel. Trotz des Friedens und der vertrauten Gegenstände um mich herum war mir unbehaglich zumute. Ja, mir wurde regelrecht übel. Ich stand wieder auf und nahm den Band mit den Lebensbeschreibungen der Herzöge von Ruffano zur Hand. Er öffnete sich von selbst an der Stelle, wo das Lesezeichen steckte, und ich überflog ein paar Seiten, bis ich an den bewussten Abschnitt kam. Ich klappte das Buch wieder zu und setzte mich in einen anderen Sessel. Zwei Gesichter standen mir vor Augen: das der Signorina Rizzio, die sich in ihrem unbeugsamen Hochmut nur mit Mühe dazu überwand, mir, hinter ihrem Mineralwasserglas verschanzt, ein Wort zuzuwerfen, und das Gesicht Professor Elias, wie er mit seinen Freunden in dem kleinen Restaurant an der Via San Cipriano zu Mittag aß und die Gerüchte über den Einbruch mit brüllendem Gelächter quittierte, königlich amüsiert, selbstherrlich, stolzgeschwellt.
Ich hatte Signorina Rizzio seit jenem Sonntagmorgen nicht wieder gesehen, und ob sie sich, wie es hieß, mit Bekannten in Cortina oder anderswo aufhielt, machte auch keinen Unterschied. Sie war mit ihrer Schande auf Reisen gegangen. Professor Elia hatte ich erst vor einer Stunde gesehen. Seine Schande stand hier und jetzt neben ihm.
Das Telefon begann zu läuten. Ich starrte es an und rührte mich nicht. Aber es läutete so hartnäckig weiter, daß ich schließlich aufstand und den Hörer abnahm. »Nehmen Sie einen Anruf aus Rom entgegen?« fragte die Vermittlung, und ich sagte mechanisch: »Ja«.
Kurz darauf hörte ich eine hauchende Frauenstimme: »Aldo, bist du es?«
Signora Butali war am Apparat. Ich erkannte sie an der Stimme und wollte ihr erklären, daß mein Bruder nicht zu Hause war, aber sie sprach schon weiter. Sie mochte mein Schweigen als Bejahung ihrer Frage gedeutet haben oder auch als ein Zeichen von Gleichgültigkeit. Sie schien verzweifelt.
»Den ganzen Abend habe ich schon versucht, dich zu erreichen«, sagte sie. »Gaspari ist felsenfest entschlossen. Er will um jeden Preis nach Hause. Seit ihn Professor Rizzio gestern angerufen und ihm erzählt hat, was vorgefallen ist, kann er sich nicht beruhigen. Und der Arzt meint, es wäre besser, wenn er zurückführe, anstatt im Krankenhaus zu liegen und sich in eine fieberhafte Aufregung hineinzusteigern. Liebster – um Himmels willen, sag mir doch … was soll ich nur tun? Aldo, bist du noch da?«
Ich legte auf. Nach ungefähr fünf Minuten läutete der Apparat von neuem. Ich kümmerte mich nicht darum. Ich blieb einfach in Aldos Sessel sitzen.
Mitternacht war schon vorüber, als ich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte und die Haustür zuschlug. Vielleicht hatte Jacopo den Wagen vorfahren hören und war hinausgegangen, um meinen Bruder darauf vorzubereiten, daß ich auf ihn wartete, und hatte sich dann wieder zurückgezogen. Stimmen waren jedenfalls nicht zu hören.
Dann kam Aldo herein. Er sah mich an und ging wortlos zu dem Tablett mit den Gläsern, um sich einen Drink einzugießen.
»Warst du auch oben auf der Piazza Carlo?« fragte er schließlich.
»Ja«, sagte ich.
»Was hast du
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