Das Geheimnis des Falken
gesehen, wieviel?«
»Soviel wie du. Professor Elia – nackt.«
Er nahm sein Glas und warf sich in einen Sessel, ein Bein über der Lehne.
»Er hat nicht die kleinste Schramme abbekommen«, sagte er, »ich ließ einen Arzt kommen, der ihn untersuchte. Auch eine Lungenentzündung scheint nicht im Anzug. Im übrigen ist er robust wie ein Ochse.«
Ich schwieg mich aus. Aldo trank, setzte sein Glas ab und sprang auf.
»Ich bin hungrig«, verkündete er. »Schließlich habe ich kein Abendbrot bekommen. Ich will mal sehen, ob Jacopo Sandwiches gemacht hat. Bin gleich wieder da.«
Nach etwa fünf Minuten kam er zurück, ein Tablett mit Schinken, Salat und Obst in der Hand, das er auf den Tisch stellte.
»Ich weiß nicht, wie die Sache im ›Panoramica‹ weitergegangen ist«, sagte er und machte sich über den Schinken her. »Ich habe den Manager angerufen und ihm gesagt, daß Professor Elia sich nicht wohl fühle und daß Professor Rizzio und ich bei ihm seien. Die anderen möchten doch ohne uns essen. Was sie sicher getan haben, jedenfalls ein Teil. Die wenigsten unserer Professoren beziehen ein Gehalt, das ihnen erlaubt, da oben zu essen, ganz zu schweigen von ihren Frauen. Und was in aller Welt hast du getrieben?«
»Ich habe den Einzug der Gäste beobachtet«, sagte ich.
»Das war doch sicher nicht deine Idee.«
»Nein.«
»Na schön, sie hat sich tüchtig satt gegessen, das wird sie für ein, zwei Nächte beruhigen. Ist sie dir auf den Pelz gerückt?«
Ich überhörte seine Frage. Worauf er lächelte und weiter aß.
»Mein kleiner Beo«, sagte er nach einer Weile, »deine Heimkehr war nicht so einfach. Wer hätte auch gedacht, daß sich Ruffano als so aufregend entpuppen könnte? In einem deiner Busse hättest du deine Zeit gemütlicher verbracht. Komm, leiste mir Gesellschaft.«
Er nahm eine Orange vom Tablett und warf sie spielerisch zu mir herüber.
»Ich war gestern im Theater«, sagte ich und schälte bedächtig meine Orange, »du verstehst es nicht schlecht, mit Trommeln umzugehen.«
Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Ich merkte es an der kaum merklichen Pause, die entstand, bevor er sich die Schinkenscheiben, die er eben klein geschnitten hatte, zu Gemüte führte.
»Du kommst ja ganz schön in der Stadt herum«, stellte er fest. »Wer hat dich denn mitgenommen?«
»Die WW-Studenten aus meiner Pension«, antwortete ich. »Übrigens waren sie, wie die Masse deiner Zuhörer, genau so beeindruckt von allem, was du gesagt hast, wie deine Elite am Samstagabend im Palazzo Ducale.«
Er zögerte mit der Antwort. Dann sagte er, indem er seinen Teller beiseite schob und nach dem Salat langte: »Die Jugend ist leicht zu formen.«
Ich schälte die Orange zu Ende und bot ihm die Hälfte an. Wir aßen schweigend, dann sah ich, wie sein Blick auf den Band mit den herzoglichen Biographien fiel. Er schaute mich an.
»Die Stolzen werden nackt dastehen, die Hochmütigen vergewaltigt werden«, zitierte ich. »Was eigentlich planst du genau? Versuchst du die Schalen der himmlischen Gerechtigkeit ins Gleichgewicht zu bringen wie Herzog Claudio?«
Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, goß er sich ein Glas Wein ein und stellte sich damit vor das Bild unseres Vaters.
»Meine unmittelbare Aufgabe besteht darin, Schauspieler einzuüben«, sagte er. »Wenn es ihnen gefällt, sich mit den ihnen zugewiesenen Rollen zu identifizieren, nichts dagegen. Eine um so bessere Aufführung werden wir am Tag des Festivals bekommen.«
»Es hat zwei Zwischenfälle gegeben, die beide sehr sorgfältig organisiert waren«, sagte ich. »Erzähl mir nicht, daß das ein Haufen von Studenten angezettelt hat oder auch nur in der Lage dazu wäre.«
»Du unterschätzest die junge Generation«, erwiderte Aldo. »Sie verfügt über ein enormes Organisationstalent, wenn sie will, außerdem hungert sie nach Ideen. Setz ihr etwas in den Kopf, und schon ist sie dabei.«
Er leugnete nicht, daß er etwas mit den Dingen zu tun hätte, die am Sonntag und heute abend geschehen waren, aber er gab es auch nicht zu. Für meine Person zweifelte ich nicht daran, daß er bei beiden Vorfällen seine Hand im Spiel hatte.
»Macht es dir gar nichts aus«, fragte ich, »zwei Menschen – mit Professor Rizzio sind es sogar drei – so zu demütigen, daß sie für immer alle Autorität verlieren?«
»Autorität ist Schwindel. Außer sie kommt von innen«, sagte er. »Dann ist sie inspiriert und von Gott.«
Ich sah Aldo sprachlos an. Aldo war nie
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