Das Geheimnis des Falken
ich aus. »Aber dann …«
»Sie suchen immer noch nach dem Mörder, was für jeden, der sich in jener Nacht zwischen zwölf Uhr und den frühen Morgenstunden im Umkreis der Via Sicilia herumtrieb, unangenehme Folgen haben könnte.«
Er legte mir die rechte Hand auf den Kopf und wühlte in meinem Haar.
»Mach dir keine Sorgen, mein Beato«, sagte er, »sie werden dich nicht kriegen. Und wenn ja, würden sie dich schnell wieder laufen lassen. Die Unschuld strahlt dir aus den Augen.«
Was er mir da sagte, brachte mich völlig aus der Fassung. Das ganze Entsetzen über den Mord überfiel mich wieder. Und ich hatte gedacht, ich sei darüber hinweg.
»Was soll ich tun?« fragte ich ratlos, »soll ich zur Polizei gehen?«
»Nein, denk nicht mehr daran«, sagte Aldo, »komm morgen abend zu unserem Treffen und melde dich für die Elite. Hier ist dein Paß.«
Er faßte in seine Tasche und brachte eine kleine Plakette zum Vorschein, auf deren Oberseite der Kopf eines Falken zu sehen war.
»Damit lassen die Jungen dich passieren«, sagte er. »Neun Uhr am Eingang zum Thronsaal. Aber komm allein! Ich habe keine Lust, für das Amüsement der Signorina Raspa oder deiner Spielgefährten aus der Pension aufzukommen. Und nun schlaf gut!«
Es war schon nach eins, und die Straße lag still und dunkel da. Unterwegs begegnete mir niemand. Falls Neugierige, in der Hoffnung auf weitere Sensationen, noch herumlungern sollten, so mußten sie sich wohl an der Piazza Carlo oder vor Professor Elias Haus aufhalten. Das Haus Nummer 24 lag genauso ruhig da wie die übrigen Häuser. Die Türe war unverschlossen, und ich gelangte unbemerkt in mein Zimmer. Aus dem Stimmengewirr, das aus Paolo Pasquales Klause drang, schloß ich jedoch, daß sich die ganze Mannschaft dort versammelt hatte und leidenschaftlich debattierte. Morgen würde ich vermutlich erfahren, ob sie auch auf der Piazza Carlo gewesen waren.
Ich wachte um fünf Uhr in der Frühe auf. Nicht mit der Erinnerung an einen Traum oder einen Alptraum oder das Bild des WW-Direktors vor Augen, wie er in schmählicher Nacktheit auf dem Piedestal saß, das die Bronzestatue des Herzogs Carlo trug. Nein, ich erwachte mit der plötzlichen Gewissheit, wo ich dem Namen Luigi Speca begegnet war, eine Frage, die mich in der Bibliothek den ganzen Nachmittag beunruhigt hatte. Ich hatte ihn im Taufregister der Kirche San Cipriano gelesen.
15. Kapitel
Um acht Uhr klopfte es an meine Tür, und noch ehe ich ›herein‹ rufen konnte, stürmte Paolo, gefolgt von Caterina, ungestüm ins Zimmer. Er schien nichts zu bemerken.
»Entschuldigen Sie«, sagte Paolo, als er sah, daß ich noch beim Rasieren war, »aber wir wollten fragen, ob Sie mitkommen wollen. Sämtliche WW-Studenten schwänzen heute die Vorlesungen und demonstrieren vor dem Haus von Professor Elia.«
»Und weswegen?«
»Wir haben Sie gesehen«, unterbrach mich Caterina, »im Wagen mit dieser Carla Raspa. Und wir haben auch gesehen, wie Sie aus dem Hotel kamen und zur Piazza Carlo hinauffuhren. Sie waren doch mitten drin!«
»So ist es«, fiel Gino ein, dessen Kopf über dem von Caterina auftauchte. »Und später war derselbe Wagen dicht bei den Anlagen geparkt. Sie müssen mitbekommen haben, was wirklich los gewesen ist! Sie waren viel näher dran als irgendeiner von uns.«
Ich legte meinen Rasierapparat beiseite und langte nach einem Handtuch. »Ich habe gar nichts gesehen, außer lauter Professoren, die um eine Statue herumstanden. Es gab furchtbar viel Gerenne und Gerede, und dann trugen sie irgend jemand weg, oder irgend etwas. Vielleicht war es eine Bombe.«
»Eine Bombe!« riefen alle wie aus einem Munde.
»Das ist die tollste Theorie, die ich bis jetzt gehört habe«, sagte Caterina, »und wenn Ihr mich fragt, er könnte sogar recht haben. Vielleicht hat die ›Vigilante‹ Professor Elia an eine Zeitbombe gebunden, die dann innerhalb einer bestimmten Anzahl von Minuten explodiert wäre.«
»Und was wurde mit der Bombe?«
»Was für eine Bombe war es denn?«
»Die Frage ist, ob er verletzt worden ist. Darüber werden sie uns kein Sterbenswörtchen sagen.«
Die leidenschaftliche Diskussion, die schon die halbe Nacht im Gange gewesen war, schien von neuem aufzuleben, und das in meinem Schlafzimmer.
»Hört mal zu«, sagte ich, »ich darf euch jetzt bitten, mich allein zu lassen, alle, ja! Wenn Ihr durchaus wollt, geht doch und demonstriert! Ich bin kein Student. Ich bin nur Angestellter.«
»Oder vielleicht ein Spion!«
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