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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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religiös gewesen. Der Gang zur Messe an Sonn- und Feiertagen wurde von unseren Eltern angeordnet und war eine Routineangelegenheit, die Aldo freilich nur zu gern benutzte, um mich zu ängstigen, wobei die Sache mit dem Altarbild in San Cipriano ein Musterbeispiel für seine Fähigkeit war, die Phantasie eines anderen bis zum Zerreißen anzuspannen.
    »Spar dir solche Tiraden für deine Studenten«, sagte ich. »Das sind genau dieselben Reden, wie sie der Falke seiner Elitemannschaft zu halten pflegte.«
    »Und sie glaubten ihm«, antwortete er.
    Aldos Lächeln war plötzlich erloschen. Er machte sich nicht mehr lustig, und die flammenden Augen in seinem blassen Gesicht beunruhigten mich. Ich rutschte nervös in meinem Sessel hin und her und langte nach einer Zigarette. Als ich wieder zu ihm hinüberschaute, war der Augenblick der Spannung vorbei. Ruhig trank er seinen Wein zu Ende.
    »Es gibt etwas, mußt du wissen, was hierzulande niemand erträgt«, sagte er leichthin und hielt sein Glas gegen das Licht, »und nicht nur hier, in der ganzen Welt ist es und war es so, quer durch die Geschichte hindurch: sein Gesicht zu verlieren. Wir machen uns ein Bild unserer selbst zurecht, und dann kommt jemand daher und zerstört dieses Bild und macht uns lächerlich, stellt uns bloß. Du hast gerade von Demütigung gesprochen, was auf dasselbe hinausläuft. Entweder erholen die Menschen – oder die Völker, die ihr Gesicht verlieren – sich nie wieder und verfallen allmählich, oder sie lernen die Demut, was etwas ganz anderes ist als Demütigung. Die Zeit wird erweisen, in welcher Richtung sich die Rizzios entwickeln und Elia mit dem Rest der Brut, die diese Miniaturwelt Ruffano ausmachen.«
    Ich mußte an jemanden denken, der während der letzten drei Stunden ganz sicher das Gesicht verloren hatte, und zwar an meine Freundin Carla Raspa. Vielleicht aber war sie auch zu dickhäutig, um sich das zuzugeben. Sie würde mir das Versagen zuschreiben und nicht sich selbst. Mir war es egal.
    Sollte sie doch aus meinem Mangel an Galanterie die Schlüsse ziehen, die ihr am ehesten zusagten!
    »Übrigens hat man dich aus Rom angerufen«, sagte ich, »so gegen halb elf.«
    »Oh«, machte Aldo.
    »Signora Butali. Sie wirkte nervös. Der Präsident besteht darauf, nach Ruffano zurückzukommen, und zwar im Zusammenhang mit den Ereignissen von Sonntagabend, wenn ich recht verstanden habe.«
    »Wann?« fragte Aldo.
    »Das hat sie nicht gesagt. Offen gestanden – ich habe aufgelegt, während sie noch sprach. Sie dachten, ich wäre du, und ich ließ sie in dem Glauben.«
    »Was dumm von dir war«, sagte Aldo. »Ich hätte dir mehr Intelligenz zugetraut.«
    »Tut mir leid.«
    Meine Mitteilung beunruhigte ihn. Ich sah ihn zum Telefon hinüberschauen, verstand den Wink und stand auf.
    »Und wenn der Präsident nun erst von dem Vorfall heute abend hört …!« sagte ich.
    »Er wird nichts davon erfahren«, unterbrach mich Aldo, »was glaubst du wohl, habe ich bis um Mitternacht mit Rizzio und Elia beredet?«
    »Möglich, daß man ihn offiziell nicht unterrichtet«, sagte ich, »aber bilde dir doch nicht ein, daß sich niemand findet, der ihm die Sache zusteckt.«
    Mein Bruder zuckte die Achseln: »Das müssen wir eben riskieren«, sagte er.
    Ich ging zur Tür. Ich hatte nichts, aber auch gar nichts mit meinem Besuch erreicht, außer daß sich der Verdacht bestätigt hatte, der an mir nagte, und daß Aldo nunmehr wußte, daß ich wußte.
    »Was wird der Präsident tun, wenn er zurückkommen sollte?« fragte ich.
    »Er wird gar nichts tun«, sagte Aldo, »die Zeit ist zu knapp.«
    »Die Zeit?«
    Aldo lächelte. »Auch Präsidenten sind verletzlich«, sagte er, »sie können das Gesicht verlieren wie jeder andere Sterbliche, Beo …«
    »Ja?«
    Er griff nach einer Zeitung, die auf einem Stuhl neben der Tür lag.
    »Hast du das gelesen?«
    Er wies auf die Meldung, die ich beim Frühstück gelesen und über den Ereignissen des Tages ganz und gar vergessen hatte.
    »Ja, sie haben den Mörder gefaßt«, sagte ich, »Gott sei Dank!«
    »Sie haben den Dieb gefaßt«, warf er ein, »was offensichtlich nicht dasselbe ist. Der Polizeikommissar rief heute morgen an. Der Anruf war natürlich vertraulich. Jedenfalls bleibt der Bursche, der die zehntausend Lire gestohlen hat, bei seiner Aussage. Er wiederholt beharrlich, daß Marta schon tot war, als er den Schein nahm, und die Polizei neigt zur Annahme, daß er die Wahrheit sagt.«
    »Schon tot«, rief

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