Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
trank einen Schluck Bier und dachte über Marcos Worte nach. Es war klar, daß Aldo ihn gleich nach der Geburtstagsfeier und dem Streit mit Marta aufgesucht hatte. Sie mußte ihn, betrunken, wie sie laut Jacopo gewesen war, fürchterlich beschimpft und beleidigt haben. Wahrscheinlich hatte sie ihm, da sie, wie die meisten Menschen bäuerlicher Herkunft, tief religiös war und sich an einen festen Moralkodex gebunden fühlte, vorgeworfen, daß er eine Affäre mit einer verheirateten Frau angefangen hatte, und noch dazu mit der Frau des Präsidenten. Die Auseinandersetzung mußte meinen Bruder so aufgebracht haben, daß er Marta aus dem Hause wies. Aber warum hatte er daraufhin einen ›Schock‹ erlitten?
    Ich hörte Schritte, und dann stand ein Mann vor mir. Er war untersetzt, grauhaarig und von der Sonne noch tiefer gebräunt als Marco.
    »Dies ist Franco«, erklärte Marco, »mein Kumpel und zugleich mein Maschinist.«
    Franco streckte mir eine Hand hin, die behaart war wie eine Affenklaue und ganz beschmiert mit Maschinenöl.
    »Wir haben noch zwei Stunden zu tun«, teilte er dem Schiffer mit. »Ich hielt es für besser, dir Bescheid zu sagen, da wir erst entsprechend später segeln können.« Marco fluchte und spuckte aus. Dann wendete er sich mit einem Achselzucken zu mir: »Ich habe Ihrem Bruder gesagt, daß wir am frühen Nachmittag auf See sein würden. Aber das war heute morgen, als er mich anrief. Anschließend konnte man Sie dann wohl zunächst nicht finden. Und jetzt muß uns der Motor Schwierigkeiten machen! Jetzt können wir von Glück sagen, wenn wir gegen fünf hier wegkommen.«
    Er stand auf und zeigte auf die Boote, die im Kanal vor Anker lagen.
    »Sehen Sie das blaue Boot dort drüben, das mit dem gelben Mast und der Achterkajüte?« fragte er. »Das ist unser Kahn, die ›Garibaldi‹. Franco und ich nehmen Ihren Mantel und den Koffer mit an Bord. Sie können dann später nachkommen. So ungefähr in einer Stunde. Ist Ihnen das recht, oder wollen Sie lieber gleich mit?«
    »Nein«, sagte ich, »nein. Ich bleibe hier sitzen und trinke in Ruhe mein Bier aus.«
    Sie gingen das Kanalufer hinunter, und ich wartete im Café, bis sie an Bord geklettert waren. Das Quartier, das man mir für die nächsten Tage zugedacht hatte, lockte mich ganz und gar nicht. Marco hatte schon recht, wenn er sagte, daß ich mit meinem Bruder keine Ähnlichkeit hatte. Ich war ein routinierter Reisender zu Lande, aber nicht zur See. Ich hatte mich einmal vor all meinen Touristen blamiert, indem ich im Golf von Neapel seekrank wurde, und die flache, ölige Dünung der Adria wirkte nicht weniger abstoßend auf mich als der tückische Golf. Langsam trank ich mein Bier aus. Der Tag hatte den toten Punkt erreicht. Ob die Sitzung in der Via del Sogni inzwischen wohl vorüber war?
    Schließlich stand ich auf und schlenderte ziellos am Kanal entlang. Aber anstatt direkt auf das Boot zuzusteuern, bog ich links ab und wanderte zum Strand hinunter.
    Die Sonnenanbeter hatten sich trotz der frühen Jahreszeit bereits weitgehend entkleidet und lagen mit nacktem Oberkörper im Sand. Vornan im Wasser paddelten kreischende Kinder herum. Die Badehütten standen, frisch gestrichen und klebrig, in Reih und Glied, und davor spreizten sich, grellrot und orangefarben, die Sonnenschirme und überdachten den blendend weißen Strand. Ich war völlig verzagt und außerstande, meiner Niedergeschlagenheit Herr zu werden. Indessen trottete eine Schar von Kindern in grauen Uniformen und mit kurzgeschorenen Köpfen – beaufsichtigt von einer Nonne – den Strand hinunter aufs Meer zu. Sie zeigten auf die Wasserfläche, und ihre kleinen Gesichter leuchteten auf in entzücktem Staunen. Dann liefen sie zu der Nonne hin und bettelten um die Erlaubnis, die Schuhe auszuziehen. Sie gab die Erlaubnis. Sie schaute freundlich durch ihre goldgeränderten Brillengläser.
    »Langsam, Kinderchen … langsam«, sagte sie, und während sie sich bückte, um die kleinen Schuhe um sich zu versammeln, blähten sich ihre Röcke wie ein Ballon. Die Kinder liefen erlöst mit erhobenen Armen ans Meer.
    »Die sind wenigstens glücklich«, sagte ich.
    »Ihre erste Fahrt ans Meer«, antwortete die Nonne. »Sie kommen alle aus Waisenhäusern im Binnenland und bleiben über Ostern in einem Lager hier in Fano. Wir haben noch ein zweites Lager in Ancona.«
    Die Kinder waren bis über die Knie im Wasser, jubelnd und sich gegenseitig bespritzend. »Eigentlich dürfte ich es ihnen gar

Weitere Kostenlose Bücher