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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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ausgiebig, und wenn meine Mutter nicht da war, flirtete Signora Longhi, allerdings diskret, mit meinem imposanten Vater.
    Diesmal erschien auf mein Alarmzeichen hin nur ein kleines Dienstmädchen, das sehr hektisch war. Wir könnten sicher Zimmer haben, aber erst müsse sie die Padrona fragen. Indessen schallte eine laute Stimme von oben herab. Die Padrona selbst bemühte sich – wegen übermäßiger Körperfülle sehr langsam – die Treppe hinunter und kam schnaufend herbei.
    Die Augen schauten aus tiefen Tränensäcken. Die Wangen waren welk, und das Haar verriet in seinem streifigen Kastanienbraun die Farbkünste des Provinzfriseurs. Mit Schrecken erkannte ich mit einemmal in der mittelalterlichen Dame Signora Longhi wieder.
    »Sie möchten übernachten?« fragte sie und schaute mich gleichgültig an, während ihr die Zigarette von der Lippe hing.
    Ich setzte ihr auseinander, was die Turtmanns und ich selber brauchten, wandte mich enttäuscht ab und begab mich nach draußen in den Schnee, um meine Kunden nebst Gepäck hereinzulotsen. Das aufgeregte Zimmermädchen, offenbar einzig vorhandener Gepäckträger, folgte mir. Natürlich, die Saison hatte noch nicht begonnen, und doch … irgendwie wirkte der Empfang nicht eben Glück verheißend. Die Turtmanns kamen ungerührt herein und bewegten sich treppaufwärts, während die gähnende Wirtin, die Zigarette von der Lippe hängen lassend, ihnen mit den Blicken folgte. Der kleine Junge, dem sie einst Zuckerwerk zuzustecken pflegte, war lange in Vergessenheit geraten.
    »Sie haben doch ein Restaurant. Können wir hier essen?« fragte ich.
    »Das Restaurant ist im ersten Stock. Es wird gerade serviert«, erwiderte sie und trottete schwerfällig, wie sie gekommen war, die Treppe wieder hinauf.
    Ich überwachte die Unterbringung der Turtmanns in einem Doppelzimmer im zweiten Stock und ging auf die Suche nach meinem eigenen Quartier. Es war ein kleines Einzelzimmer mit Blick auf die Piazza. Obwohl es immer noch schneite, hakte ich die Läden auf, öffnete das Fenster und sog einen Augenblick die scharfe, kalte Luft in mich hinein.
    Ich kam mir vor wie ein Gespenst, das aus dem Jenseits wiederkehrt. Die Häuser dämmerten gleichgültig vor sich hin. Jenseits der gegenüberliegenden Dächer stieß der Campanile von San Cipriano in den Himmel, und plötzlich zeigte die Glocke die Stunde an – mit einem tiefen, vollen Ton, der sofort in den Stimmen der anderen Kirchen sein Echo fand. San Giovanni, San Michele, San Martino, Sant' Agata. Ich kannte sie alle und erkannte sie wieder, zuletzt den hellen Klang von San Donato drüben auf dem Hügel. Um diese Stunde hatte ich, an Martas Knie geschmiegt, immer mein Gebet gesagt.

4. Kapitel
    Herr Turtmann und Frau saßen bereits beim Essen. Sie gaben mir nicht zu verstehen, daß ich mich zu ihnen setzen möchte, und so ließ ich mich an einem kleinen Tisch dicht am Wandschirm nieder. Bis auf ein paar Handlungsreisende, die über ihre jeweiligen Produkte diskutierten, war das Restaurant leer. Ein anderes Mädchen, das weniger hektisch wirkte als seine Kollegin von vorhin, betätigte sich als Serviererin. Ab und zu bekam sie Direktiven von der Padrona persönlich, die plötzlich hinter dem Schirm hervorkam, uns beäugte, einen Befehl krächzte und wieder verschwand.
    Irgendwann ließ jemand in der Küche einen Stoß Geschirr fallen. Es gab einen klirrenden Krach, auf den eine Tirade der Signora folgte, die volle fünf Minuten dauerte. Die Handlungsreisenden hielten einen Augenblick inne in ihrem endlosen Geschwätz, zuckten die Achseln und nahmen die Unterhaltung wieder auf. Die Turtmanns hoben nicht einmal den Kopf von den Tellern mit der Gemüsesuppe, die man ihnen serviert hatte. Sie ließen sich durch den Krach so wenig stören wie Schweine an ihrem Trog.
    Von dem herben, traubenfarbenen Landwein, der meine Karaffe füllte, nahmen sie keine Notiz. Mich erfüllte jeder Bissen, den ich aß, und jeder Schluck, den ich trank, mit Heimweh nach der Vergangenheit.
    Am Mitteltisch, der von langer Gewohnheit her für zwölf Personen gedeckt war, hatte Aldo seinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Schön wie ein junger Gott, hatte er sein Glas erhoben und meinen Eltern zugetrunken und ihnen gedankt, daß sie ihm die Ehre dieses Festes angetan hatten. Die Gäste hatten applaudiert, und ich, das Kind, der kleine Benjamin, hatte große Augen gemacht. Mein Vater, der eines Tages in einem Alliierten-Gefangenenlager an Lungenentzündung

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