Das Geheimnis des Falken
Führer kam, ein Gähnen unterdrückend, auf meine Kundschaft zu, da er ein Trinkgeld witterte. Er konnte ein paar Brocken Englisch und hielt die beiden Deutschen für Amerikaner.
»Beachten Sie die Decke«, sagte er, »Decke sehr schön. Von Tolemeo restauriert.«
Ich ließ ihn reden und verdrückte mich. Die Gemächer der Herzogin, die die Turtmanns und nach ihnen die Studenten laut Programm passieren mußten, ließ ich links liegen und strebte direkt auf den Raum der Cherubim und das herzogliche Schlafzimmer zu, die ich beide leer fand, bis auf einen Aufseher, der hinten in einer Ecke auf einem Fenstersitz schlief.
Ich fand kaum etwas verändert. Paläste halten, ungleich den Menschen, den Jahren stand. Nur die Bilder hatten den Platz gewechselt. Sie waren aus ihrem kriegsbedingten Versteck in den Kellern wieder heraufgebracht und, wie ich widerstrebend zugeben mußte, geschickter placiert worden, als es zu meines Vaters Zeiten der Fall gewesen war. Man hatte sie mit Sachverständnis überall dort untergebracht, wo das Licht am besten auf ihnen spielen konnte.
Die ›Madonna mit Kind‹, das Lieblingsbild meiner Mutter, hing nicht mehr in einer vergleichsweise dunklen Ecke, sondern stand – in erhabener Einsamkeit – auf einer Staffelei. Die langweiligen Marmorbüsten aus späterer Zeit, die sich früher über den Raum verteilten, hatte man weggeschafft. Nichts lenkte mehr von der Madonna ab. Der Wärter blinzelte vor sich hin.
Ich ging auf ihn zu.
»Wer ist jetzt Museumsdirektor hier?« fragte ich.
»Es gibt keinen Direktor«, erwiderte er. »Der Palazzo untersteht der Aufsicht des Kunstrats von Ruffano, das heißt, die herzoglichen Gemächer, die Bilder, die Wandteppiche und die Räume oben. Die Bibliothek im Erdgeschoß steht den Mitgliedern der Universität zur Verfügung.«
»Danke«, sagte ich und ging weiter, bevor er mich auf die tanzenden Cherubim auf dem Kaminsims hinweisen konnte. Es gab eine Zeit, da ich jeden von ihnen bei seinem von mir erfundenen Namen nannte.
Als ich das herzogliche Schlafgemach betrat, suchte mein Blick sofort das Bild an der Wand. Es war noch da. Kein Kunstrat konnte das da auf eine Staffelei verfrachten.
Unglücklicher Christus, oder vielmehr, da der Künstler mit genialer Unbefangenheit ja ihn gemalt hatte, unglücklicher Claudio! Da stand er in seinem safranfarbenen Wams, eine Hand auf die Hüfte gestützt, ins Leere blickend; oder auf die Dächer jener visionären Welt, die ihm gehören könnte, wenn er der Versuchung unterläge. Der Teufel flüsterte ihm, in der Maske eines Freundes und Ratgebers, seine Botschaft ins Ohr. Der rosige Himmel hinter ihm verhieß ein triumphales Morgenrot. Die schlafende Stadt Ruffano war im Begriff, sich zu regen, zu erwachen und seinem Gebot zu folgen.
»Alle diese Macht will ich dir geben, und ihre Herrlichkeit … So du nun mich willst anbeten, soll alles dein sein.«
Ich hatte vergessen, daß seine Augen hell waren wie sein goldenes Haar und daß dies Haar, daß das blasse Gesicht umrahmte, einem Kranz von Dornen gleich sah.
Stimmen wogten hinter meinem Rücken auf. Ich hatte zu lange vor meinem Bild gestanden, die Turtmanns mit ihrem redseligen Führer, die Studenten mit der Dozentin waren mir auf den Fersen. Ich verzog mich in den Audienzsaal; denn ich wußte, meine schwatzenden Verfolger würden nicht nur vor dem Gemälde, von dem ich mich gerade getrennt hatte, verweilen, sondern auch das Studio und die Kapelle des Herzogs besuchen. Falls sie ein paar hundert Lire in die Tasche des Führers gleiten ließen, durften sie vielleicht sogar einen Blick auf die Wendeltreppe werfen, die zum Turm hinaufführte.
Hier, im Audienzsaal, war die Geheimtür zum Zwillingsturm. Die Wendeltreppe, obwohl eine Nachbildung, galt schon zu meines Vaters Zeiten als nicht sicher. Touristen, die so verwegen waren, ihre Muskeln strapazieren und dem Schwindel trotzen zu wollen, wurden durch das herzogliche Ankleidezimmer zum rechten Turm dirigiert.
Ich trat zur Wand und hob den Gobelin. Die Tür war noch da, der Schlüssel steckte. Ich drehte ihn, und die Tür ging auf. Vor mir lag die Treppe und wand sich höher und höher zum Turm hinauf. Unter mir ging es dreihundert Stufen oder mehr in die Tiefe. Wie lange mochte es her sein, überlegte ich, daß irgend jemand diese Treppe hinaufgeklettert war. Spinnweben und tote Fliegen verunzierten das kleine bleigerahmte Fenster. Die alte Angst, die alte Faszination überkamen mich. Ich legte meine
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