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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Stiefvater Enrico Fabbio in der gleichen keifenden Art zu zanken, wie die Padrona das mit ihrem Mann tat.
    »Haben Sie viel Konkurrenz in Ruffano?« fragte ich, während ich Herrn Turtmanns Quittung zusammenfaltete.
    »Das Hotel Panoramica«, antwortete sie mit einem Achselzucken. »Vor drei Jahren wurde es gebaut, völlig modern. Es liegt drüben auf dem anderen Hügel, dicht an der Piazza Carlo. Wir können es in dieser Bruchbude ohnehin zu nichts mehr bringen. Mein Mann ist alt, und ich bin müde. Wir können gar nicht konkurrieren.« Nach diesem Abgesang schlurfte sie hinter das Empfangspult, während ich zu den Turtmanns hinausging und ein weiteres Stück meiner Kindheit zu den Akten legte.
    Meine Klienten knipsten heftig. »Lokalkolorit«, bellte Herr Turtmann, »kleine Erinnerung. Wollen wir fahren?«
    Wir fuhren die Via Vittorio Emanuele hinauf zum Palazzo. Im Morgenlicht hatte die Traumwelt der vergangenen Nacht Wirklichkeit gewonnen. Eine Reihe weiterer Wagen parkte zwischen Palazzo und Dom. Fußgänger liefen hin und her, Vespas rasten an uns vorbei zur Universität. Ein Mensch kam auf uns zu und wollte Ansichtskarten loswerden. Herr Turtmann scheuchte ihn fort.
    »No, no, niente, wir machen das selbst«, sagte er und ließ die Kamera surren. Ich ging voraus zum Eingang. Ein uniformierter Museumsdiener schaute aus einer Box. »Zweihundert Lire pro Person«, verkündete er. »Wünschen Sie einen Führer?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kenne mich hier aus«, sagte ich.
    Unsere Schritte hallten auf dem steinernen Fußboden. Ich ging voran bis zu dem viereckigen Hof und kam mir wiederum vor wie ein Gespenst, ein Pilger durch die Zeiten. Hier hatte ich immer gerufen – und meine Stimme hatte gehallt im Bogengang: »Aldo? Aldo? Warte auf mich!«
    Und dann war wie ein Echo die Antwort gekommen: »Hier bin ich. Komm, folge mir …«
    Und ich folgte seinem Ruf, über die große Treppe hinauf zu der oberen Galerie, wo aus jeder Nische, aus jeder Wölbung der Falke der Malebranche blickte und die Buchstaben CM zu lesen waren, die für beide Herzöge standen: Claudio und Carlo.
    Die Turtmanns stapften hinter mir her.
    Wir blieben einen Augenblick in der Galerie stehen, damit die beiden verschnaufen konnten, und da war die Bank, die Bank, auf der Marta immer gesessen und gestrickt hatte, während ich vor ihren Augen die Galerie hinauf- und hinunterrannte oder manchmal auch ganz kühn – wenn Aldo nicht da war, um sich meiner zu bemächtigen – die ganze Runde ablief, indem ich ab und zu innehielt, um durch die großen Fenster auf den Innenhof hinunterzuschauen.
    »Nun?« sagte Herr Turtmann und fixierte mich. Ich wandte mich ab von der Galerie mit ihrer leeren Bank und bog nach rechts, in den Thronsaal, ein. Mein Gott, dieser Moderdunst, der von alten Zeiten, von alten Fehden sprach, von Herzögen und Herzoginnen, die längst gestorben waren, von Höflingen und Pagen … Der Geruch der Wölbungen, der ockerfarbenen Wände, der staubigen Wandbehänge.
    Die Toten waren bei mir, als ich durch die vertrauten Räume ging. Nicht nur die Gespenster, von denen man mir erzählt hatte – der wilde Herzog Claudio, der Volksliebling Carlo, die allergnädigste Herzogin und ihr Gefolge hochgeborener Damen – nein, auch meine eigenen Toten waren bei mir! Mein Vater, selbst huldvoll wie ein Herzog, wenn er den Palazzo den Historikern aus Florenz und Rom vorführte; Marta, die mich ermahnte, wenn ich zu laut wurde und mich mit Schmeichelworten rasch außer Hörweite der vornehmen Besucher lockte. Und Aldo, ach Aldo, der auf Zehenspitzen leise näher kam, den Finger auf den Lippen.
    »Er wartet.«
    »Wer wartet?«
    »Der Falke … um dich mit seinen Fängen zu packen und auf – und davonzutragen.«
    Stimmengewirr wurde hinter mir laut. Eine Gruppe junger Leute, zweifellos Studenten, begleitet von einer Dozentin, drangen gleichzeitig mit uns lärmend in den Thronsaal ein. Sogar die Turtmanns waren irritiert. Ich winkte sie ins nächste Zimmer.
    »Wir halten uns ein Stück vorweg«, sagte ich, »damit sie uns nicht stören.«
    Herr Turtmann war, wie alle seine Landsleute, gründlich und auf Details erpicht. Er ging an jeden Wandteppich, jedes Gemälde dicht heran und inspizierte es – kurzsichtig wie er war – durch seine Brillengläser. Seine Frau hielt sich geduldig an seiner Seite, Notizbuch in der Hand. Ich trommelte mit den Absätzen ungeduldig auf dem Fußboden herum, weil ich weiter wollte. Ein uniformierter

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