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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Hand auf den kalten Stein und wollte klettern.
    »Wer ist dort? Es ist verboten, die Treppe zu benutzen.« Ich schaute über meine Schulter. Der Aufseher, den ich schlafend im Raum der Cherubim zurückgelassen hatte, war mir gefolgt und starrte mich aus mißtrauisch verengten Knopfaugen an.
    »Was machen Sie hier? Wie sind Sie überhaupt hergekommen?« fragte er.
    Das gleiche Schuldgefühl wie einst wurde in mir wach. Eine solche Untat hätte mein Vater mit sofortiger Verbannung ins Bett bestraft. Und das Abendbrot wäre auch ausgefallen, außer wenn Marta es zu mir hinaufgeschmuggelt hätte.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »aber ich schaute ganz zufällig hinter den Gobelin und entdeckte die Tür.«
    Er wartete, bis ich vorbei war, dann schloß er die Tür, drehte den Schlüssel und rückte den Gobelin wieder an seinen Platz.
    »Es ist den Besuchern verboten, die ausgestellten Gegenstände zu berühren«, sagte er eindringlich.
    »Entschuldigung«, sagte ich noch einmal und gab ihm 500 Lire. Er schwieg sich aus und zeigte auf den Raum, der vor uns lag. »Das Zimmer der Päpste«, erläuterte er. »Die Büsten von zwanzig Päpsten an der Wand. Alle sehr interessant.« Ich dankte ihm und ging weiter. Das Zimmer der Päpste hatte mich bisher nie sehr gelockt.
    Ich verzichtete auf die verbleibenden Räume, die mit den Keramiken und den Steinreliefs. Früher hatten sie sich gut zum Versteckspielen geeignet, weil das Echo besonders deutlich kam.
    Dann ging ich die große Treppe wieder hinunter und durch den Innenhof und das Portal hinaus auf die Straße. Ich zündete mir eine Zigarette an und wartete, an eine der Säulen des Domes gelehnt, auf meine Kundschaft.
    Der Postkartenverkäufer kam mit seinen Vorräten auf mich zu. Ich winkte ab und fragte: »Wann beginnt denn die große Invasion?«
    Er zuckte die Achseln. »Das kann jetzt jeden Tag losgehn«, sagte er, »falls das Wetter sich bessert. Die Stadtverwaltung tut ihr Bestes, um Ruffano ins Gespräch zu bringen, aber wir liegen nicht sehr günstig. Diejenigen, die an die Küste wollen, ziehen den direkten Weg vor. Wir brauchen die Studenten als Abnehmer, um das Zeug hier loszuwerden.«
    Er zeigte mit dem Daumen auf seine Ansichtskarten und die kleinen Fahrradflaggen mit dem Falken der Malebranche.
    »Gibt es hier viele Studenten?«
    »Es heißt, mehr als sechstausend. Viele kommen täglich von außerhalb herein, weil in der Stadt nicht genug Unterkünfte zur Verfügung stehen. Das alles hat sich erst in den letzten drei Jahren entwickelt. Die Älteren sind größtenteils sehr dagegen. Die Stadt würde verdorben, die Studenten seien Rowdies und so. Meine Güte, sie sind schließlich jung, und wie ich schon sagte, sie kurbeln die Geschäfte an.«
    Die Zahl der Hörer mußte sich verdoppelt, wenn nicht verdreifacht haben. Ich konnte es nicht beurteilen. Früher erregten die Studenten, soviel ich mich erinnerte, weiter kein Ärgernis. Ich hatte immer den Eindruck gehabt, daß sie alle Lehrer werden wollten.
    Der Postkartenverkäufer schlenderte davon, und während ich, meine Zigarette rauchend, auf die Turtmanns wartete, hatte ich zum ersten Mal seit Monaten, nein, seit Jahren, das Gefühl, daß ich nicht in Eile war. Ich arbeitete nicht mehr nach einem strikten Zeitplan. Es fuhren keine ›Sonnenreisen‹-Busse auf der Piazza vor mir auf.
    Der Schnee schmolz schnell unter der heißen Sonne. Die Kinder spielten Fangen um den Brunnen. An der Tür des Bäckers gegenüber erschien eine alte Frau mit ihrem Strickzeug. Und Studenten und Studentinnen strömten in den herzoglichen Palast.
    Ich schaute zu dem Falken auf, dessen Schwingen sich über dem Portal, bereit zum Fluge, spreizten. Letzte Nacht hatte er in seiner Schneerüstung, schräg vor den Himmel gestellt, bedrohlich gewirkt, wie eine Warnung für alle, die vom rechten Wege abgewichen sind. Heute morgen erschienen mir die ausgebreiteten Schwingen, mochten sie den Palazzo nach wie vor bewachen, wie Signale der Freiheit.
    Die dunkle Glocke des Campanile am Dom schlug elf. Der letzte Ton war kaum verklungen, als die Turtmanns, gestikulierend, die Volkswagentüren knallen ließen. Ich hatte ihr Auftauchen nicht bemerkt. Sie waren ungeduldig, sie wollten weg.
    »Wir haben hier gesehen, was wir sehen wollten«, bellte mein Arbeitgeber, »meine Frau und ich sind uns einig: wir verzichten auf die verbleibenden Kirchen. Wir wollen die Stadt über den Hügel dort drüben verlassen, sobald wir das Denkmal des Herzogs Carlo

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