Das Geheimnis des Falken
in Richtung Küche. »Und sie macht einem keine Vorschriften: Wir kommen und gehen, wie es uns paßt. Das ist sehr bequem.«
»Ja, wir sind ein munteres Völkchen«, sagte das Mädchen. »Wer arbeiten will, kann arbeiten. Wer herumspielen will, spielt herum. Paolo und ich betreiben ein bißchen beides. Ja, Sie sollten sich nach dem Zimmer erkundigen.« Ihr Lächeln war kameradschaftlich, ermutigend, und sein Lächeln auch. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging Caterina den Korridor hinunter zur Küche und rief nach der Signora.
»Sind Sie gern in Ruffano?« fragte ich.
»Ich finde es nicht übel«, er zuckte die Achseln. »Man ist ein wenig beengt. Aber das sind wir von zu Hause gewöhnt. Wenn wir erst einmal das Examen gemacht haben, gehen wir freilich auf und davon. Das ist der Vorteil des WW-Studiums. Daraufhin bekommt man garantiert einen Job. Wir sind im dritten Jahr und haben nur noch eins vor uns.«
Indessen öffnete sich die Küchentür. Signora Silvana kam zum Vorschein. Sie war eine stattliche Person, hochbusig und mit enormen Hüften ausgestattet. Dabei sah sie gut aus in ihrer einladenden, freundlichen Art.
»Sie suchen ein Zimmer?« fragte sie. »Kommen Sie und sehen Sie sich an, was ich habe.«
Sie schob sich an Paolo und mir vorbei und begann die Treppe zu erklimmen.
»Sehen Sie«, lachte Caterina, »es ist alles ganz einfach. Hoffentlich bleiben Sie! Paolo und ich gehen jetzt ins Kino. Wir sehen uns später.«
Lachend gingen sie aus dem Haus, während ich Signora Silvana erklärte, worum es mir zu tun war. Wahrscheinlich würde ich das Zimmer nur für eine Woche brauchen …
»Das macht nichts«, sagte sie, »ich kriege meine Zimmer immer wieder schnell besetzt. Ich kenne das. Übrigens – ich bin gar keine Ruffanesin, ich stamme aus Pesaro. Meinem Mann bekam das Klima an der Küste nicht, deshalb sind wir vor fünf Jahren hierher gezogen. Die Höhenlage ist gerade richtig für ihn. Er arbeitet in der Stadtbehörde.«
Wir waren im obersten Stockwerk angelangt. Sie machte die Tür zu einem Zimmer auf, dessen Fenster zur Straße hinausgingen. Während sie das Licht andrehte, ging ich durch den Raum, um die Fensterläden zu öffnen. Ich weiß gern, wo ich mich befinde.
Ich blickte die Straße hinunter und stellte fest, daß der kleine Wagen immer noch vor Nummer 5 geparkt war. Dann schaute ich mich im Zimmer um. Es war nicht groß, aber ausreichend möbliert.
»Ich nehme es«, sagte ich.
»Fein. Dann machen Sie sich's gemütlich. Das Bett ist frisch bezogen. Das Badezimmer liegt gegenüber. Verpflegung bekommen Sie nach Wunsch. Wenn Sie außerhalb essen möchten, sagen Sie morgens Bescheid. Aber wenn Sie das vergessen sollten, mache ich auch kein Theater. Falls Sie Hunger haben … das Abendbrot ist gerade fertig.«
Der ungezwungene Stil, die Gemütlichkeit des Hauses, in dem einem keine Fragen gestellt wurden, entsprachen genau meinen Wünschen. Ich packte mein Köfferchen aus, wusch und rasierte mich so schnell wie möglich und warf noch rasch einen Blick auf das Auto unten. Dann ließ ich mich vom Stimmengeräusch in den Speisesaal leiten.
Signora Silvana hatte ihren Platz am oberen Ende der Tafel bereits eingenommen und teilte die Suppe aus. Außer ihr waren noch vier Personen da. Ein Herr in mittlerem Alter, den sie als ihren Mann vorstellte und der genauso stattlich und gutgenährt war wie sie selbst, dazu drei Studenten, die allesamt sehr harmlos wirkten. Keiner von ihnen sah so auffallend gut aus wie der junge Pasquale.
»Unser neuer Gast, Signor Fabbio«, verkündete meine Pensionsmutter, »und dies hier sind Gino, Mario und Gerardo. Nehmen Sie Platz, und fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Keine Sonderstellung, bitte«, sagte ich, »ich heiße Armino, und es ist noch gar nicht so lange her, daß ich selber in Turin studiert habe.«
»Philologie?«
»Moderne Sprachen. Sehe ich wie ein Philologe aus?«
Daraufhin wurde prompt ein einstimmiges »Ja« hervorgebracht, und alles lachte, während Gino, der neben mir saß, erklärte, daß es ein hauseigener Scherz sei, jeden Neuankömmling der Philologie zu verdächtigen.
»Ich arbeite an sich als Reiseleiter«, erläuterte ich, »aber da ich zur Zeit in der Universitätsbibliothek aushelfe, falle ich für Sie vermutlich unter Philologie.«
Ein allgemeines, aber freundliches Gemurre wurde laut. »Nehmen Sie keine Notiz von den jungen Herren«, sagte lächelnd meine Wirtin. »Weil sie Wirtschaftswissenschaften studieren, meinen
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