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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Ich beugte mich vor und sah die Silhouette eines Mannes. Er schaute hinauf zum Haus, wie ich es zuvor getan hatte. Dann drückte er den Griff der Pforte hinab.
    Anscheinend suchte sich die Gattin des Präsidenten während der Abwesenheit ihres Mannes zu trösten, so wie es vor zwanzig Jahren ihre Vorgängerin getan hatte. Als der Mann beim Öffnen der Pforte einen Augenblick stehen blieb, fiel der Schein der Straßenlampe diesseits der Mauer voll auf sein Gesicht. Dann passierte er die Pforte und schloß sie hinter sich.
    Ich stand wie erstarrt, kraftlos, unfähig, etwas zu empfinden. Dieser Mann war kein Fremder. Es war mein Bruder Aldo.

7. Kapitel
    Ich lief an der Gruppe von Studenten vorbei, die schwatzend vor dem Haus Nummer 24 der Via San Michele herumstanden, und stieg in mein Zimmer hinauf. Dort setzte ich mich aufs Bett und starrte vor mich hin.
    Es war ein Irrtum gewesen, ein Irrtum, natürlich, ein Spiel des Lichts. Eine unbewußte Assoziation angesichts unseres alten Hauses. Aldo war 1943 im brennenden Flugzeug abgestürzt; meine Mutter hatte doch das Telegramm bekommen. Ich erinnerte mich noch, wie es eintraf und wie sie angstvoll auf den Umschlag blickte, denn das Telegramm konnte nur schlimme Nachrichten enthalten, die entweder meinen Vater oder meinen Bruder betrafen – und dann ging sie in die Küche und rief nach Marta, und sie blieben zusammen in der Küche. Die Tür hatten sie zugemacht, damit ich sie nicht hörte.
    Kinder spüren es, wenn schlimme Nachrichten da sind. Ich saß auf einem Stuhl und wartete. Dann kam meine Mutter wieder. Sie weinte nicht. Sie sah zerstört aus, verfallen, wie viele Erwachsene, wenn sie zutiefst erschüttert oder erschrocken sind. Sie sagte: »Aldo ist tot. Er wurde abgeschossen. Die Alliierten haben ihn abgeschossen«, und sie ging hinauf in ihr Zimmer. Ich lief in die Küche. Da saß Marta, die Hände im Schoß. Im Gegensatz zu meiner Mutter sah sie weder zerstört noch verfallen aus. Die Tränen liefen ihr ungehemmt über die Wangen, und sie streckte die Arme nach mir aus. Ich begann zu weinen, stürzte auf sie zu, taumelte in ihre Arme, und zusammen trauerten wir um unseren Toten.
    »Mein kleiner Beato«, sagte sie, »mein Lamm, mein Beato. Du hast ihn so geliebt, du hast deinen Bruder geliebt.«
    »Es ist nicht wahr«, sagte ich unter Schluchzen immer wieder. »Es ist nicht wahr. Sie können Aldo nicht töten. Niemand kann Aldo töten.«
    »Ja, es ist wahr«, sagte sie und hielt mich fest an sich gedrückt, »er ist so gestorben, wie er es sich selbst gewünscht hätte. Er mußte fliegen, er mußte fallen. Aldo, dein Aldo.«
    Das Gedächtnis ist barmherzig. Die Tage nach jenem ersten Tag waren später wie ausgelöscht, ich empfand nichts mehr. Sie müssen gekommen und gegangen sein, und sicher bin ich jeden Morgen mit meinen Gefährten in die Schule gewandert, mit einem Trauerband angetan, und sicher habe ich ihnen nicht ohne Stolz erzählt: »Ja, mein Bruder ist tot. Heruntergeschossen und im brennenden Flugzeug abgestürzt«, als mehre dieses Ende noch seinen Ruhm.
    Ich spielte wie früher. Ich lief die Treppen hinauf und hinunter. Um jene Zeit beförderte ich den Ball in den Baum. Die kleinen Begebenheiten, damals ohne Zusammenhang mit der Umwelt, verschmolzen schließlich mit anderen Ereignissen von größerer Bedeutung; die Kapitulation kam und der Waffenstillstand, was ich beides nicht begriff, das Einrücken der Deutschen, die Ankunft des Kommandanten. Das war der große Bruch in dem Leben, wie ich es gekannt hatte.
    Während ich in der Pension Silvana auf meinem Bettrand hockte, durchlebte ich jene Augenblicke noch einmal und sagte mir, daß ich zwar einen lebenden Menschen gesehen, aber diesen Menschen fälschlich mit einem anderen identifiziert hatte, der lange tot war. Eine Halluzination. Dies war den Jüngern geschehen: Als sie glaubten, ihren Herrn zu erblicken, war Christus auferstanden.
    Plötzlich klopfte es an meine Tür. Erschreckt rief ich aus: »Wer ist da?« Ich weiß nicht, was oder wen ich eigentlich erwartete. Vielleicht den gespenstischen Fremden. Mein Ausruf wurde offenbar als Aufforderung zum Eintreten verstanden. Die Tür öffnete sich, und auf der Schwelle standen die Pasquales. Sie machten besorgte Gesichter.
    »Verzeihen Sie bitte«, sagte Caterina, »aber Sie sahen so schlecht aus, als Sie eben nach Hause kamen. Wir fragten uns, ob irgend etwas passiert sei.«
    Ich richtete mich auf und bemühte mich krampfhaft, unbekümmert zu

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