Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
den anderen über. Ich kam mir vor wie in einer Falle. Wer an Angst vor geschlossenen Räumen litt – hier gab es kein Entkommen!
    Die Tür, die zum herzoglichen Schlafzimmer führte, wurde aufgestoßen. Ein Mann trat ein, gefolgt von sechs Begleitern, die sich um ihn gruppierten wie eine Leibgarde. Er kam näher, streckte die Hand aus und begann seine Gäste zu begrüßen. Die Spannung löste sich. Alles drängte nach vorn, um unter den ersten zu sein. Carla Raspas Augen begannen zu leuchten. Sie vergaß mich vollkommen und schob sich in die Schlange, die sich im Nu gebildet hatte.
    »Wer ist der Mann?« fragte ich.
    Sie hörte mich gar nicht. Sie hatte sich schon ein Stück vorgekämpft. Dafür bedachte mich ein junger Mann neben mir mit einem verwunderten Blick und sagte: »Wieso? Das ist doch Professor Donati, der Direktor des Kunstrats.«
    Ich trat einen Schritt zurück, verzog mich aus dem Fackelschein ins Dunkel. Indessen näherte sich die Gestalt mitsamt der Leibwache, spendete dem einen ein Wort, beglückte den andern mit einem Lachen, klopfte dem dritten auf die Schulter, und ich konnte nicht ausbrechen, sah keinen Fluchtweg. Die hinter mir Stehenden drückten mich unerbittlich nach vorn.
    Irgendwie war ich wieder an die Seite meiner Begleiterin gelangt. Ich hörte sie sagen: »Dies ist Signor Fabbio, er hilft Signor Fossi in der Bibliothek.« Ich hielt meine Hand hin. Er schüttelte sie und sagte: »Sehr schön, sehr schön. Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.«
    Er sah mich kaum an dabei und ging weiter.
    Carla Raspa knüpfte aufgeregt ein Gespräch mit ihrem Nachbarn zur Linken an; nicht mit mir, dem Himmel sei Dank. Für mich hatten die Gräber sich aufgetan. Die Himmel waren in Aufruhr. Christ war erstanden in aller Majestät. So war der Fremde in der Via del Sogni letzte Nacht kein Gespenst gewesen, und wenn ich noch zu zweifeln gewagt hätte – der Name war Beweis genug. Der Direktor des Kunstrats. Professor Donati. Professor Aldo Donati. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen. Er war älter geworden, reifer. Er wirkte breiter. Sein Schritt, seine Kopfhaltung verrieten Selbstbewußtsein, ja Arroganz. Aber die hohe Stirn, die warmen dunklen Augen, der Mund, dessen Lippen sich rechts unmerklich nach unten zogen, und seine Stimme, tiefer, aber auch gleichgültiger – ach, sie war eigentlich immer gleichgültig gewesen! – all dies war mein Bruder.
    Aldo war wieder am Leben. Aldo war auferstanden von den Toten. Und meine Welt geriet aus den Fugen.
    Ich drehte mich zur Wand und schaute angestrengt die Gobelins an. Aber ich sah nichts. Ich hörte nichts. Leute gingen hin und her, Leute redeten. Tausend Flugzeuge hätten über mir brausen können, und es hätte gar nichts bedeutet. Ein Flugzeug war nicht zerschellt. Darauf allein kam es an. Oder es war zerschellt, aber nicht verbrannt, oder es war verbrannt, aber der Pilot war unversehrt herausgekommen. Mein Bruder lebte. Mein Bruder war nicht tot.
    Jemand berührte meinen Arm. Es war Carla Raspa.
    »Wie finden Sie ihn?« fragte sie.
    Ich sagte: »Ich finde ihn unwahrscheinlich.«
    Sie lächelte und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Das finden alle.«
    Ich lehnte mich gegen die Wand. Ich wollte nicht, daß sie bemerkte, wie es mich schüttelte. Ich hatte Angst, zusammenzubrechen, einfach hinzufallen, Aufsehen zu erregen, mich entdeckt zu sehen, hier vor all diesen Leuten und vor Aldo. Später, später vielleicht … Ich wußte es nicht. Ich konnte keine Pläne machen, konnte nicht denken. Ich durfte mich nicht verraten. Ich durfte nicht zulassen, daß ich zitterte.
    »Die Inspektion ist beendet«, flüsterte Carla. »Jetzt wird er reden.«
    Es stand nur ein Stuhl im Zimmer, der Renaissance-Stuhl mit der schmalen Rückenlehne vor dem Kamin. Einer von der Leibwache rückte ihn in die Mitte des Raumes. Aldo lächelte und machte eine einladende Handbewegung, woraufhin sich alles auf dem Fußboden niederließ. Ein paar saßen mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, andere drängten sich in Aldos unmittelbarer Nähe zusammen. Die Schatten, die das Licht der Fackeln an die Decke warf, nahmen noch groteskere Formen an infolge der Vielzahl der Köpfe.
    Wie viele wir waren, hätte ich nicht sagen können. Achtzig vielleicht oder hundert, oder noch mehr. Aldo nahm Platz auf seinem Stuhl. Das Kaminfeuer flackerte, und ich versuchte krampfhaft, meine zitternden Hände zur Ruhe zu zwingen.
    »In diesem Frühling sind es fünfhundertfünfundzwanzig Jahre

Weitere Kostenlose Bücher