Das Geheimnis des Falken
gut.«
»Gefällt Ihnen die Arbeit?«
»Es ist mal etwas anderes, ohne Touristen.«
»Das habe ich mir gedacht. Aber man kann eben nicht immer alles haben.«
Sie blickte zu den Bücherborden auf und summte leise vor sich hin. Die Sekretärin beugte sich über ihren Schreibtisch, blaß wie Alabaster.
»Was haben Sie heute abend vor?« fragte Carla Raspa.
»Was ich vorhabe?«
»Ja, das fragte ich.«
Ihre Augen, zwei bittere Mandeln, schätzten mich ab. Ich versuchte mich zu erinnern, ob es eine Vogel- oder eine Reptilienart war, bei der der Liebesakt immer damit endete, daß das Weibchen das Männchen verzehrte. Nein, es handelte sich um ein Insekt, um eine Spinne – die Gottesanbeterin.
»Ich bin mit zwei Studenten aus der Pension verabredet, in der ich untergebracht bin«, flunkerte ich prompt, »wir essen zusammen, und anschließend gehen wir ins Kino.«
»Aus welcher Pension?«
Ich zögerte. »Signora Silvana«, sagte ich dann.
»Via San Michele 24! Nein, dann sind wir ja Nachbarn!«
»Ich glaube schon.«
Sie lächelte, und ihr Lächeln deutete an, daß wir in ein geheimes Spiel verstrickt waren.
»Fühlen Sie sich wohl in Nummer 24?« fragte sie.
»Sehr wohl. Eine nette Studentenclique, lauter WW-Leute.«
»WW-Leute! Dann können Sie mir leid tun. Sie werden kein Auge schließen bei dem Lärm, den die veranstalten. Dieses vergnügungssüchtige Volk!«
»Letzte Nacht waren sie vollkommen ruhig«, erklärte ich.
Sie fuhr fort, mich zu mustern, während Toni auf seiner Leiter die Ohren spitzte.
»Die WW-Studenten fahren zum großen Teil am Wochenende nach Hause«, sagte Carla, »in ganzen Horden strömen sie aus der Stadt heraus, im Auto, auf ihren Vespas, per Autobus, ich habe vom Fenster aus beobachtet, wie sie aus der Pension kamen, und Signora Silvana winkte ihnen nach, heilfroh, sie los zu sein.«
»Das ist schon möglich«, sagte ich.
Die Sekretärin sammelte ihre Papiere zusammen und schloß den Schreibtisch ab, eine Geste, die auf ihren bevorstehenden Aufbruch schließen ließ. Toni kletterte von seiner Leiter herab, und der zweite Gehilfe folgte seinem Beispiel.
»Wohin wollten Sie denn essen gehen?« fragte Carla Raspa.
»Wir essen in der Pension«, sagte ich. »Das Essen ist dort sehr gut«, und um mein Alibi glaubhafter zu machen, fügte ich noch hinzu: »Meine jungen Freunde heißen Pasquale, Caterina und Paolo Pasquale.«
Sie zuckte die Schultern. »Ich habe mit den WW-Studenten nie etwas zu tun gehabt«, sagte sie.
Es blieb Toni vorbehalten, mich zu blamieren. »Pasquale, sagten Sie?« fragte er, bestrebt, sich kameradschaftlich zu geben.
»Ja.«
»Dann müssen Sie bei ihrer Verabredung etwas falsch verstanden haben. Die Pasquales reisen jeden Sonnabend nach Hause, nach San Marino. Ich habe sie heute nachmittag selbst abfahren sehen, als ich vom Essen zurückkam. Da haben Sie Pech gehabt!« Er grinste mich an, während er, im guten Glauben, daß er mir einen Dienst erwiesen hatte, seinen Mantel holte.
»Um so besser«, sagte meine Verfolgerin, »dann sind Sie heute abend doch frei.«
Einen Augenblick sah ich Giuseppe Fossi auf seinem Krankenlager vor mir, aber dann fiel mir zu meiner Erleichterung ein, daß er einige Jahre älter war als ich. Außerdem konnte es an Carlas Kochkünsten gelegen haben. Ich setzte mein strahlendstes Reiseleiter-Lächeln auf.
»Ja, dann bin ich frei«, sagte ich, »und wir beide werden im Hotel del Duchi zusammen essen.«
Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. »Warum wollen Sie Ihr Geld verschwenden«, sagte sie. »Außerdem haben die längst geschlossen, bis wir soweit sind.«
Eine Bemerkung, die nur Unheil bedeuten konnte. Sie ließ auf eine lange, erschöpfende Sitzung schließen, bei der man womöglich nicht einmal einen Aperitif spendiert bekam. Ich war nicht sicher, ob ich dieser Strapaze gewachsen sein würde.
Mir ist es lieber, wenn ich den Augenblick für gewisse Vergnügungen selber wählen kann. Einen solchen Augenblick fühlte ich keineswegs gekommen.
»Ist das so?« fragte ich.
Sie warf einen Blick auf die aufbrechenden Assistenten und Signorina Gatti, die sich ebenfalls zurückzog, aber an der Tür noch etwas verweilte.
»Ich habe einen Plan«, sagte Carla mit gedämpfter Stimme.
Seite an Seite strebten wir dem Ausgang zu. Signorina Gatti schloß, abgewandten Blickes, die Tür hinter uns ab und wünschte uns eisig einen guten Abend. Ihre Absätze klapperten auf dem Steinfußboden, während sie durch den Hof davoneilte.
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