Das Geheimnis des Falken
verletzt, weil sie sich so uninteressiert an dem Mann an ihrer Seite zeigte. Normalerweise registrieren schöne Frauen die Bewunderung, die man ihnen, gleich aus welchem Grunde, zollt. Ein Einsatz ist erfolgt, und es versteht sich ganz von selbst, daß die Huldigung auch honoriert wird. Signora Butali schienen diese Regeln nicht bewußt zu sein.
»Haben Sie einen Wagen da?« fragte ich.
»Nein«, sagte sie, »er wird übers Wochenende in der Garage repariert. Ich hatte Pech, als ich von Rom zurückfuhr.«
»Hätten Sie dann etwas dagegen, wenn ich Sie den Hügel hinaufbegleite, das heißt, falls Sie nach Hause gehen?«
»Aber durchaus nicht. Bitte, begleiten Sie mich.«
Wir gingen über die Piazza Matrice und wanderten die Via Vittorio Emanuele hinauf bis zum Rathaus. Dort bog sie links ab. Vor der Treppe zur Via del Sogni machten wir halt, um Atem zu schöpfen, und sie lächelte mich an.
»Es braucht seine Zeit«, sagte sie, »bis man sich an die Hügel von Ruffano gewöhnt. Besonders wenn man aus Florenz stammt wie ich.«
Wenn sie lächelte, wirkte sie völlig verwandelt. Der sonst so strenge, abweisende Mund, der Mund der ›adeligen Dame‹, des Porträts, das mein Vater so liebte, wurde weich und weiblich, und in der Tiefe ihrer Augen blinkte sogar etwas wie Humor.
»Haben Sie Heimweh?« fragte ich.
»Manchmal schon«, erwiderte sie, »aber was soll's. Ich wußte schließlich, was mich hier erwartete. Mein Mann hatte mich gewarnt.«
»Anscheinend ist es keine leichte Aufgabe, die Frau des Universitätsoberhauptes zu sein«, sagte ich.
»Alles andere als leicht«, antwortete sie. »Es gibt so viele Eifersüchteleien und Parteien, und ich muß immer so tun, als wüsste ich von nichts. Dabei bin ich längst nicht so geduldig wie der Präsident. Er hat sein Leben buchstäblich seiner Arbeit hier verschrieben. Und deshalb liegt er heute auch im Krankenhaus.«
Sie grüßte ein Paar, das die Treppe herunterkam, und die kühle, verbindliche Art, in der sie ohne die Andeutung eines Lächelns den Kopf neigte, machte mir begreiflich, warum Carla Raspa sich in weiblichem Groll gegen sie ereifert hatte. Ob bewußt oder unbewußt, gab Signora Butali zu erkennen, daß sie aus gutem Hause kam. Ich fragte mich, wie sie auf die Frauen der anderen Professoren wirken mochte.
»Gestern abend«, erzählte ich, »hatte ich das Glück, eine Eintrittskarte für eine Sitzung zu bekommen, die der Direktor des Kunstrates im Palazzo Ducale abhielt.«
»Ach nein«, sagte sie, plötzlich hellwach, »bitte erzählen Sie! Fanden Sie es eindrucksvoll?«
»Außerordentlich«, erwiderte ich und stellte fest, daß sie mich ansah, »nicht nur der Rahmen, die Fackelbeleuchtung, sondern auch das Duell und vor allen Dingen die Ansprache Professor Donatis an die Studenten.«
In ihre Wangen war ein wenig Farbe gestiegen, und mir war klar, daß daran weniger das Treppensteigen schuld war als die Wendung, die unser Gespräch genommen hatte.
»Ich muß wirklich einmal zu einer dieser Sitzungen gehen, unbedingt«, sagte sie, »aber irgend etwas kommt immer dazwischen.«
»Ich habe gehört, daß Sie im letzten Jahr beim Festival als Herzogin mitgewirkt haben«, sagte ich. »Werden Sie diesmal wieder dabeisein?«
»Nein, das ist ganz unmöglich«, antwortete sie. »Der Präsident liegt ja noch im Krankenhaus, und ich muß jede Woche nach Rom. So kann gar keine Rede davon sein. Außerdem glaube ich nicht, daß es diesmal eine Rolle für mich gäbe.«
»Können Sie mir sagen, worum es geht?«
»Um den armen Herzog Claudio, denke ich. Aber sehr genau kenne ich mich da leider nicht aus. Ich weiß nur, daß es zu einem Aufstand kam und daß er ermordet wurde.«
Wir waren in der Via del Sogni angelangt, und im Hintergrund sah ich bereits die Gartenmauer. Unwillkürlich verlangsamte ich meine Schritte.
»Professor Donati ist offenbar ein sehr bedeutender Mann«, sagte ich. »In der Pension, wo ich untergebracht bin, erzählte man mir, daß er aus Ruffano stammt.«
»Ja, und ob«, sagte sie. »sein Vater war Direktor des Palazzo Ducale. Er ist sogar in demselben Haus geboren und aufgewachsen, in dem wir heute wohnen.«
Ich zeigte mich erstaunt.
»O ja«, fuhr sie fort, »und er hat den Ehrgeiz, es wieder zurückzubekommen. Aber ich fürchte, das wird ihm kaum glücken, außer wenn der Präsident aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten muß. Professor Donati hängt an jedem einzelnen Zimmer im Hause, wie Sie sich vorstellen können.
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