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Das Geheimnis des Falken

Titel: Das Geheimnis des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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erwiderte Signorina Rizzio scharf, »meine jungen Damen, wie Sie sie nennen, sind entweder damit beschäftigt, ihre Notizen zu lesen und sich auf die nächste Vorlesung vorzubereiten, oder sie stecken hinter verschlossenen Läden im Bett.«
    Verstohlen verhalf ich mir zu einem weiteren Vermouth. Als ich aufblickte, sah ich, daß Aldo mich anschaute – halb verwirrt, halb fragend. Ich bewegte mich vom Teewagen weg zum Fenster hin und starrte hinunter in den Garten. Die Stimmen summten. Die Türglocke schellte abermals. Diesmal ging jemand anders öffnen. Diesmal nahm ich mir auch nicht die Mühe, mich in den Vordergrund zu schieben und mich vorstellen zu lassen. Meine Gastgeberin hatte mich wohl auch vergessen.
    Während ich weiter auf den Garten hinunterstarrte, fühlte ich eine Hand auf meine Schulter.
    »Sie sind ein sonderbarer Bursche«, sagte Aldo. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was Sie hier tun. Kann es sein, daß ich Ihnen irgendwann schon einmal begegnet bin?«
    »Das ist möglich«, sagte ich. »Wenn ich mich mit einem Leichentuch verkleidete und oben im Wäscheschrank versteckte, würden Sie mich vermutlich wieder erkennen. Mein Name ist Lazarus.«
    Ich drehte mich um und sah ihn an. Sein Lächeln erlosch. Seine Züge verfielen. Ich sah nichts als zwei riesige Augen, die aus einem totenblassen Gesicht flammten. Dies war der Triumph meines Lebens. Zum ersten und einzigen Mal hatte der Schüler den Lehrer aus der Fassung gebracht.
    »Beo …« sagte er, »oh, mein Gott, Beo …«
    Er stand regungslos. Nur der Griff um meine Schulter wurde fester. Dann riß er sich in einer ungeheuren Anstrengung zusammen. Seine Hand fiel herab.
    »Denk dir irgendeinen Vorwand aus und verabschiede dich«, sagte er. »Warte draußen auf mich. Ich komme gleich nach. Vor der Tür steht ein Wagen, ein Ferrari, steig schon ein.«
    Wie ein Schlafwandler ging ich durchs Zimmer zu meiner Gastgeberin, bedankte mich für ihre Freundlichkeit und sagte auf Wiedersehen. Von den übrigen, soweit sie mich bemerkt haben mochten, verabschiedete ich mich mit einer Verbeugung. Vor der Gartenmauer waren drei Autos geparkt. Ich setzte mich in den Ferrari, wie Aldo befohlen hatte.
    Ich rauchte eine Zigarette. Dann beobachtete ich, wie die Rizzios herauskamen und die Fossis und andere, die ich nicht kennen gelernt hatte. Als letzter erschien Aldo. Er stieg ohne ein Wort in den Wagen und knallte den Schlag zu. Wir fuhren los, aber nicht zu seinem Haus in der Via del Sogni, sondern hügelabwärts zur Via delle Mura und durch das Tor der Malebranche aus der Stadt hinaus. Aldo sagte immer noch nichts. Erst als die Stadt hinter uns lag und nachdem er rechts in die Hügel hineingefahren war, bremste er plötzlich und stellte den Motor ab. Dann drehte er sich zu mir um und sah mich an.

10. Kapitel
    Unverwandt schaute er mich an. Es war der gleiche forschende Blick, den ich von früher kannte. So pflegte er mich zu mustern, wenn er mich irgendwohin mitnahm, um festzustellen, ob mein Haar auch ordentlich gebürstet und ob mein Schuhwerk sauber sei. Manchmal schickte er mich auch zurück, mit dem Befehl, ein frisches Hemd anzuziehen.
    »Ich habe ja immer gesagt, daß du nicht ordentlich wachsen würdest«, sagte er.
    »Ich bin 1,55 groß.«
    »So lang? Nicht möglich!«
    Er gab mir eine Zigarette und Feuer. Seine Hände waren ruhig, meine nicht.
    »Du hast gar keine Locken mehr. Sonst hätte ich dich gleich erkannt«, sagte er und riß mich an den Haaren, eine barbarische Gebärde, die mich in alten Zeiten jedes Mal verletzt hatte. Sie verletzte mich auch heute. Ich schüttelte den Kopf.
    »Der Frankfurter Barbier ist daran schuld«, sagte ich, »er fing mit dem Unsinn an, und seitdem blieb es glatt. Ich wollte wie der Brigadegeneral aussehen, und das tat ich eine Zeitlang auch.«
    »Wie der Brigadegeneral?«
    »Ja, ein Amerikaner. Wir waren zwei Jahre mit ihm zusammen, daher kannte ich ihn sehr gut.«
    »Ich dachte, es sei ein Deutscher gewesen …«
    »Der erste war ein Deutscher. Aber mit dem ging es nur noch ein halbes Jahr, nachdem wir Ruffano verlassen hatten.« Ich drehte das Wagenfenster herunter und schaute auf den blauen Buckel des Berges hinauf, der vor uns lag. Es war der Monte Cavallo. Wir konnten ihn früher von unserem Haus aus sehen.
    »Lebt sie noch?« fragte er.
    »Nein, sie ist vor drei Jahren an Krebs gestorben.«
    »Das ist gut«, sagte er.
    Ein Vogel, ein Habicht oder dergleichen, flog in mein Blickfeld und stellte sich,

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