Das Geheimnis des Falken
schwebend, scharf gegen den Horizont. Ich erwartete, daß er herabstoßen würde, aber er schwang sich, immer weitere Kreise ziehend, noch höher hinauf und verhielt dann wieder in der Schwebe.
»Wie kam es dazu?« fragte Aldo.
Die Frage hätte sich auf die Krankheit beziehen können; aber ich kannte meinen Bruder und wußte, daß er auf die Zeit von 1944 anspielte.
»Das habe ich mich selber oft gefragt«, sagte ich. »Ich glaube nicht, daß es mit der Nachricht von Vaters oder von deinem Tod zusammenhing. Sie nahm beides als Schicksal hin und fand sich ab – wie andere auch. Vielleicht war sie einsam. Vielleicht hatte sie überhaupt eine Schwäche für Männer.«
»Nein«, sagte Aldo. »Das wäre mir bewußt gewesen. So etwas spüre ich.« Er rauchte nicht. Er saß einfach da, den Arm auf der Lehne meines Sitzes.
»Eine Beute des Siegers«, fuhr er nach einem Augenblick fort, »so sah sie sich selbst. Auf eine Frau von ihrer Art, die im Grunde konventionell empfand und sich ihrem Mann durchaus unterordnete, mußte das wie ein Aphrodisiakum wirken. Erst, in ihrer Heimatstadt, der deutsche Kommandant, dann der Amerikaner, als der Nimbus der Deutschen dahin war. Ja … ja … ich sehe das Grundmuster. Sehr interessant.«
In seinen Augen war es wohl interessant. Wie ein Kapitel Geschichte. Anders als für mich, der in Mitleidenschaft gezogen worden war.
»Warum nennst du dich Fabbio?« fragte er.
»Das wollte; ich gerade erzählen. Dazu kam es später, in Turin, als der amerikanische General aus Frankfurt weggegangen war, zurück in die Vereinigten Staaten. Wir lernten Enrico Fabbio im Zug kennen. Er war sehr höflich und half uns mit dem Gepäck. Drei Monate darauf war sie mit ihm verheiratet. Kein Mann hätte netter zu uns sein können. Und es gehörte; zu meinem Bruch mit der Vergangenheit, daß ich später seinen Namen annahm. Schließlich zahlte er.«
»Richtig. Er zahlte.«
Ich schaute meinen Bruder an. Reagierte er mit Bitterkeit auf die Existenz unseres Stiefvaters? Seine Stimme klang sonderbar.
»Ich bin ihm heute noch dankbar«, sagte ich. »Ich besuche ihn auch, wenn ich einmal oben in Turin bin.«
»Und das ist alles?«
»Du meine Güte, ja. Er hat nie Vaters Stelle eingenommen oder deine. Er war einfach ein freundlicher kleiner Mann mit Familiensinn.«
Aldo lachte, und ich fragte mich, was er an meiner Schilderung so komisch fand.
»Jedenfalls«, fuhr ich fort, »gab es nichts, was uns verband, außer daß wir unter demselben Dach lebten und das gleiche Essen aßen. So machte ich mich später selbständig, als ich mein Universitätsdiplom in der Tasche hatte. Ich mochte nicht ins Bankfach gehen, was er vorschlug, und so begann ich, a conto meiner Sprachkenntnisse, in der Reisebranche zu arbeiten.«
»Als was?«
»Als junger Mann, als Sekretär, als Reiseführer, dann als Reiseleiter.«
»Als Schlepper …«
Nun ja … Grob gesprochen war ich ein besserer Schlepper. Eine Stufe über dem Menschen von der Piazza Maggiore, der in Ruffano Ansichtskarten verhökerte.
»Bei welcher Firma bist du angestellt?« fragte er.
»Bei den ›Sonnenreisen‹. Genua«, erwiderte ich.
»Du lieber Himmel«, sagte er.
Er nahm den Arm von der Rückenlehne und ließ den Wagen an. So, als sei mit meinem Geständnis das Verhör beendet. Keine weiteren Fragen. Der Fall war abgeschlossen.
»Sie zahlen gut«, verteidigte ich mich, »und ich lerne alle möglichen Leute kennen. Man sammelt Erfahrungen, Eindrücke, ich bin ständig unterwegs.«
»Unterwegs wohin?« fragte er.
Ich antwortete nicht. Wohin, ja, wohin eigentlich? Er ließ die Kupplung los. Der Ferrari schoß davon und kletterte die Hänge hinauf. Unter uns dehnte sich die Landschaft wie ein Teppich aus fahlbraunen und olivfarbenen Flicken. Weiter westwärts glitzerte die Stadt Ruffano auf ihren Hügeln, ein schmaler Reif unter der Sonne.
»Und du?« fragte ich.
Er lächelte.
Ich war an Beppos Art gewöhnt, den Bus durch die sanft gewellte Landschaft der Toscana oder Umbriens zu steuern, wobei Sicherheit vor Geschwindigkeit ging. So schien mir die Verachtung abgrundtief, mit der Aldo die heimischen Marken traktierte. An jeder Haarnadelkurve und an jeder Ecke kokettierte er mit dem Tod.
»Letzte Nacht hast du es ja gesehen«, sagte er, »ich bin ein Puppenspieler. Ich ziehe an den Drähten, und die Puppen tanzen. Es erfordert viel Geschicklichkeit.«
»Das glaube ich gern. Ich verstehe nur nicht, warum du das tust. All die Vorbereitungen
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