Das Geheimnis des Falken
zwischen ihnen – wobei ich oft die Zielscheibe seines Spottes abgab und von ihr verteidigt wurde – die rituelle Flucht vor der endgültigen Entscheidung darstellte oder ob sie längst ein Paar waren, dessen Geheimnis an verliebtem Reiz gewann, wenn sie vor einem vermeintlich ahnungslosen Dritten damit kokettierten?
Vom Präsidenten wurde nicht gesprochen. Der kranke Mann in Rom hatte nicht einmal als unsichtbarer Geist Anteil an unserem Fest. Es war, als ob er gar nicht existierte.
Ich fragte mich, inwieweit seine Gegenwart das Benehmen von uns dreien wohl geändert hätte – stellte mir unsere Gastgeberin vor, wie sie sich in ihr Schneckenhaus zurückzog und sich lediglich als die erste Dame bei Tisch gab, dazu Aldo, der den Hausherrn mit Schmeicheleien traktierte, die vielleicht nur ich als solche erkannt hätte (als Junge pflegte er mit unserem Vater ähnlich zu verfahren), und ihn zu Bekenntnissen verlockte, die so interessant oder so langweilig sein mochten, wie sie wollten, solange sie nur das unterirdische Spiel verdecken halfen.
Nach dem Essen führte Signora Butali uns ins Musikzimmer hinauf, und dort kam, bei Kaffee und Likören, die Rede auf das Festival. »Wie steht es mit den Proben?« fragte sie meinen Bruder, »oder wird das Ganze vor allen Nichtbeteiligten genau so streng geheim gehalten wie im letzten fahr?«
»Noch geheimer«, sagte er. »Aber auf den ersten Teil Ihrer Frage kann ich antworten: sehr gut. Die Proben sind – jedenfalls für einige von uns – seit Monaten im Gange.« Die Signora wandte sich zu mir:
»Sie müssen wissen, Beo«, sagte sie, »daß ich im vorigen Jahr die Herzogin Emilia gespielt habe, wie sie Papst Clemens an ihrem Hof empfängt. Professor Rizzio, den Sie heute früh kennen gelernt haben, stellte den Herzog dar. Und die Proben waren so realistisch und die Methoden Ihres Bruders, der Regie führte, so betörend, so suggestiv, daß ich den Eindruck habe, Professor Rizzio halte sich von Stund an tatsächlich nur noch für den Herzog von Ruffano.«
»Heute Vormittag legte er jedenfalls eine königliche Herablassung an den Tag«, sagte ich, »aber ich habe das nicht mit dem Festival in Verbindung gebracht. Ich nahm einfach an, daß er sich als Vizepräsident der Universität und Direktor der philosophischen Fakultät eben bewußt war, welch tiefe Kluft uns trennte.«
»Auch das macht ihm zu schaffen«, gab sie zu und meinte, zu Aldo gewandt, »und noch mehr vielleicht der Signorina. Mir tun die Studentinnen in ihrem Heim oft leid. Sie könnten genauso gut im Kloster sitzen wie in Signorina Rizzios Pensionat.«
Mein Bruder lachte, während er sich einen Likör eingoss. »Die Kleister waren einstmals sehr viel leichter zugänglich«, sagte er, »bisher gibt es noch keine unterirdische Verbindung zwischen Studentenheim und Pensionat. Man sollte so etwas einmal ins Auge fassen.«
Damit zog er die Notizen aus der Tasche, die ich ihm übersetzt hatte, warf sich in einen Stuhl und begann die Blätter zu studieren.
»Es gibt noch mancherlei Probleme zu lösen«, erklärte ich der Hausfrau, »bevor das diesjährige Festival wirklich steigen kann.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel die Frage, ob Herzog Claudio ein Moralist oder ein Ungeheuer war«, erwiderte ich. »Den Historikern zufolge war er ein Ungeheuer und außerdem verrückt. Aldo denkt darüber anders.«
»Das wundert mich nicht«, sagte sie. »Er legt Wert darauf, anders zu sein und anders zu urteilen als alle übrigen.« Sie sagte es scherzend, aber der Blick, mit dem sie ihn ansah, wirkte aufreizend.
Ich dachte daran, wie völlig ausdruckslos ihr Gesicht gewirkt hatte, als ich sie nach der Kirche heimbegleitete. Der Vergleich war nicht sehr schmeichelhaft für mich, den Dritten im Bunde.
»Das Volk von Ruffano sah jedenfalls ein Ungeheuer in ihm«, sagte ich, »und zettelte einen blutigen Aufstand gegen ihn und den ganzen Hof an.«
»Und das soll auf dem Festival inszeniert werden?« wollte sie wissen.
»Fragen Sie nicht mich, fragen Sie Aldo«, erwiderte ich. Langsam ging sie zu seinem Stuhl hinüber, das Likörglas in der Hand und leise vor sich hin summend. Und die Art, in der sie sich bewegte und sich über den Mann im Sessel beugte, schien mir ein eindeutiger Beweis ihres Begehrens. Nur meine Gegenwart hielt sie davon ab, ihn zu berühren.
»Nun, werden wir einen Aufstand bekommen?« fragte sie. »und wenn ja, wer wird ihn anführen?«
»Sehr einfach«, erwiderte er, »die WW-Studenten.
Weitere Kostenlose Bücher