Das Geheimnis des Falken
eine große Aufregung.«
»Das bedeutet …«, fragte die Hausfrau.
»Die Verführung der Lady«, erwiderte er. »was mein Übersetzer als die Vergewaltigung der ersten Dame der Stadt notiert hat.«
Langes Schweigen. Aldos Zitat aus meinen hastig hingekritzelten Auszügen war missverständlich und kam im unpassendsten Augenblick. Ich sprang auf und erklärte, mit einem viel zu strahlenden Reiseleiter-Lächeln, daß ich am nächsten Morgen um neun Uhr in der Bibliothek antreten müsse. Das war meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, das Schweigen zu brechen, das bedrückend zu werden drohte. First nachdem meine Bemerkung heraus war, wurde mir bewußt, daß mein plötzlicher Aufbruch nur eine Spiegelung dessen war, was Aldo eben gesagt hatte.
»Lassen Sie sich von Signor Fossi nicht zu hart herannehmen«, sagte die Signora und reichte mir die Hand. »Und kommen Sie wieder, wenn Sie Lust haben, ein bißchen Musik zu hören. Ich brauche Sie nicht erst daran zu erinnern, daß dies Haus einmal Ihr Haus gewesen ist. Ich würde mich freuen, wenn Sie es mit denselben Augen betrachten würden wie Ihr Bruder.«
Ich bedankte mich für soviel Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft und versicherte, daß sie bloß den Hörer abzunehmen brauchte, wenn sie irgendwann irgendwelche Bücher für sich selbst oder für den Präsidenten haben wollte.
»Sehr nett von Ihnen«, sagte sie. »Gegen Ende der Woche fahre ich nach Rom. Ich gebe Ihnen vorher Bescheid.«
»Ich bringe dich hinunter«, sagte Aldo.
Er brachte mich hinunter. Aber er ging nicht mit. Als wir die Treppe hinabstiegen – die Tür zum Musikzimmer stand noch offen –, schwatzte ich mit albernem Eifer von den alten Zeiten und wie er mich so oft zum ersten Stock hinaufgejagt hatte. Ich wollte vermeiden, daß Signora Butali dachte … nun, genau das, was sie denken mußte. Daß ich, der kleine Bruder, mein Stichwort bekommen und gehorcht hatte. Die Party war vorbei … Aldo kam mit durch den Garten und öffnete die Pforte. Die Lampe warf lange Schatten über die Straße. Die Sterne glitzerten.
»Wie schön sie ist«, sagte ich, »und in jeder Hinsicht so sympathisch, so beherrscht und ruhig. Kein Wunder, daß du …«
»Schau«, sagte er und legte die Hand auf meinen Arm. »da kommen sie. Siehst du die Scheinwerfer?«
Er wies auf das Tal in der Tiefe. Die Hauptstraßen, die von Osten und Norden nach Rufano hineinführen, waren mit Lichtern gesprenkelt, die Luft war erfüllt von dem Lärm, den die Vespas ausspien.
»Was heißt: sie?« fragte ich.
»Die WW-Studenten, die vom Wochenende zurückkommen«, sagte er. »Gleich wirst du sie die Via delle Mura hinauftosen hören wie eine Büffelherde. Und dann lärmen sie noch mindestens eine Stunde lang.«
Der Friede der Stadt war gestört. Die Sonntagsruhe, die in alten Tagen Ruffano eingehüllt hatte wie ein Leichentuch, es gab sie nicht mehr.
»Du hast hier doch etwas zu sagen«, bemerkte ich, »du könntest all dem doch ein Ende machen, wenn es dich vergrämt.«
Aldo lächelte und klopfte mir auf die Schulter.
»Es vergrämt mich nicht«, sagte er. »Von mir aus können sie die ganze Nacht lang weitertoben. Du gehst direkt nach Hause, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich.
»Bummle nicht herum«, sagte er, »nimm den kürzesten Weg. Bis zum nächsten Mal, Beo, und danke für heute.«
Er trat zurück in den Garten. Kurz darauf hörte ich, wie die Haustür geschlossen wurde. Ich ging den Hügel hinab zu meiner Pension und dachte darüber nach, wie er wohl empfangen werden würde, wenn er die Treppe zum Musikzimmer wieder heraufkam. Ob das Mädchen, das das Essen serviert hatte, im Nebengebäude schlief? Als ich in die Via San Michele einbog, strömten die zurückkehrenden Studenten bereits auf der Piazza Matrice zusammen.
Vespas und kleine Autos surrten und tuckerten. Zwei Autobusse stoppten an den Kolonnaden. Für einen Augenblick sah ich die Pasquales in einem Haufen anderer Studenten auftauchen. Morgen würde ich sie vielleicht sehen, morgen, nicht heute abend. Heute abend wollte ich diesen Tag überdenken. Ich ging schnell, um nicht eingeholt zu werden, schlüpfte durch die offene Haustür und lief hinauf in mein Zimmer.
Während ich mich auszog, sah ich in meiner Phantasie Aldo vor Augen, Aldo, der mit Signora Butali im Schlafzimmer meiner Mutter stand. Ob er das Zimmer, an dessen Verwandlung mit dem Flügel und anderen Requisiten er inzwischen gewöhnt war, heute anders sah, als wir es einst gesehen
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