Das Geheimnis Des Frühlings
gehandelt habt und dass die Konsequenzen Eures Vergehens in keinem Verhältnis zu einer angemessenen Strafe stehen.«
Seine Gelehrtensprache begann mich zu verdrießen. Es war nur sein attraktives Gesicht, das mich versöhnlich stimmte. »Soll heißen?«
»Kurz zusammengefasst, Signorina, heißt es, dass die Leute, die Euch verfolgen, selbst in ein schweres Verbrechen verstrickt sein müssen, sonst würden sie wegen eines gestohlenen Bildes nicht zu Mördern werden.«
Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. »Was für ein Verbrechen?«, fragte ich dann verwirrt, doch ehe er antworten konnte, erspähte ich hohe Klostermauern und einen Kirchturm und packte den Bruder am Arm. Wir waren am Ziel.
» Vero Madre sei Dank!«, entfuhr es mir. »Sind wir endlich da?«
Er schüttelte den Kopf. »Leider nein. Das ist San Domenico, das große Dominikanerkloster und das spirituelle Heim ihres Ordens.«
Jetzt hatte ich endgültig genug. »Können wir nicht hier um Aufnahme bitten?«
Das perfekte Profil verhärtete sich. »Nein. Sie würden einem Franziskaner ebenso wenig Obdach gewähren wie einer wie Euch...« Er errötete und beeilte sich, seinen Ausrutscher zu vertuschen. »Damit meine ich, dass sie nur Mitglieder ihres eigenen Ordens akzeptieren und sich strikt an ihre Regeln halten. Unser Ziel«, er deutete erneut in Richtung des Himmels, »liegt dort, in Fiesole.« Ich folgte mit dem Blick seinem ausgestreckten Finger und sah über uns ein kleines goldenes Gebäude, das auf dem Gipfel des Berges thronte. Hundert Stufen führten zu ihm hinauf.
Das durfte doch nicht wahr sein!
Ich muss leider gestehen, dass ich auf dem letzten Wegstück alles andere als eine angenehme Begleiterin war. Ich war so sehr davon überzeugt gewesen, unsere Strapazen würden in San Domenico enden, dass es mir unerträglich erschien, auch nur noch einen Schritt weitergehen zu müssen. Meine Füße bluteten, ich stöhnte und nörgelte und bat unaufhörlich darum, Rast machen zu dürfen. Unsere missliche Lage und meine Geschichte waren vergessen, als wir weitertrotteten, und der Bruder bestand erbarmungslos darauf, unser Tempo beizubehalten. »Das Tageslicht breitet sich zuerst im Tal aus«, erklärte er. »Die Schatten der Nacht verlagern sich hügelaufwärts - wir sind mit jeder Sekunde deutlicher zu erkennen. Weiter!«
Doch selbst diese Warnung verfehlte ihre Wirkung auf mich. Ich brachte weder die Energie noch den Willen auf, den letzten Anstieg in Angriff zu nehmen. Als wir die steinerne Treppe des kleinen Hügelklosters erreichten, brach ich schluchzend auf einer Bank am Fuß der Stufen zusammen.
»Nur eine kleine Verschnaufpause«, flehte ich. »Lasst mich mich wenigstens ein bisschen zurechtmachen, bevor ich dem Abt unter die Augen trete. Das werdet Ihr ja wohl verstehen.«
Nach kurzem Zögern gestattete er mir, mich hinzusetzen und meine Füße zu reiben. Vor Schmerzen stöhnend untersuchte ich die Schrammen und Blasen, die sich seit unserem letzten Halt verhundertfacht zu haben schienen. Der Mönch nahm neben mir Platz, doch als er vernehmlich nach Atem rang, hob ich den Kopf und sah, was er gesehen hatte.
Und hörte augenblicklich mit meinem Gejammer auf.
Unter uns erstreckte sich Florenz wie ein von Tausenden persischen Ungläubigen gewobener glitzernder goldener Teppich. Der Duomo glich keinem mordgierigen Tiger mehr, sondern einer warmen Kupferglocke, der Arno einem gewundenen Goldband. Das Licht des jungen Tages verlieh der Stadt eine überwältigende, kaum in Worte zu fassende Schönheit. Schulter an Schulter saßen wir stumm da und sogen das Bild in uns auf, während der Triumph über unsere gelungene Flucht und das Gefühl zaghafter Kameradschaft eine ebenso wohlige Wärme in uns verbreiteten wie die auf unsere Rücken fallenden Sonnenstrahlen. Ich fuhr mir mit den Fingern durch mein wirres Haar, um mich für die Begegnung mit dem Abt zu wappnen, und erhob mich, doch Bruder Guido hielt mich am Ärmel fest. »Meint Ihr nicht, es wäre an der Zeit, dass Ihr es mir zeigt?«
Meine schmutzige Fantasie listete sogleich alles an meiner Person auf, was er zu sehen wünschen könnte, ehe mein gesunder Menschenverstand mich daran erinnerte, dass er nie weder durch einen Blick noch durch eine Geste Interesse an mir bekundet hatte, das über den Ärger hinausging, den meine Gegenwart ihm bescherte. Nein, ich wusste, dass er tatsächlich durch und durch fromm war, daher musste ich nachhaken. »Was soll ich Euch
Weitere Kostenlose Bücher