Das Geheimnis Des Frühlings
»schlägt mein Herz nicht, fließt mein Blut nicht, und meine Sinne - und auch die körperliche Lust - erwachen im Angesicht von Schönheit nicht?« Er sah mich an. Sein Gesicht verzerrte sich vor Qual wie das einer verdammten Seele, Tränen schimmerten in seinen Augen. »Die Gelübde abzulegen heißt nicht, nichts mehr zu empfinden, sondern körperliche Begierden zu unterdrücken und sich ganz Gott zu verschreiben. Ich bitte dich, heute Nacht dasselbe zu tun.«
Sein Onkel wandte sich erneut zum Gehen. Ganz offensichtlich wollte er einem Streit mit seinem Neffen aus dem Weg gehen. Doch Bruder Guido riss ihn unsanft an der Schulter zu sich herum. »Wenn du schon nicht an Gott denkst, dann denk an meine Tante, die Mutter deines Sohnes, deine tote Frau .« Er verlieh dem letzten Wort eine beißende Betonung. »Du kannst sie in diesem Haus nicht so entehren!«
Die Worte hallten von den Wänden wider wie einen Moment zuvor das Gelächter. Ich schielte furchterfüllt zu Signore Silvio, dessen Schweigen sowohl traurig als auch gefährlich wirkte. Er sprach mit ruhiger Stimme, die aber seinen Zorn nicht verbergen konnte. »Ich habe meine Frau sehr geliebt, aber sie ist seit zehn Jahren tot. Mein Sohn ist ein verweichlichtes Muttersöhnchen und nicht wert, unseren Namen zu tragen. Und mein Neffe«, hier funkelten sich zwei einander verblüffend ähnliche Augenpaar ergrimmt an, »mein Neffe sollte es unterlassen, seinem Onkel in dessen eigenem Haus Vorschriften machen zu wollen.« Dann gewann sein Kummer die Oberhand über den Zorn. »Ich bin alleine, Guido. Seit du fort bist, gibt es niemanden mehr, der mir gelegentlich Trost spendet.«
Plötzlich war er nicht mehr der mächtige Edelmann, sondern nur noch ein Mann mittleren Alters, der trotz seines Reichtums und Einflusses seiner Einsamkeit nicht zu entrinnen vermochte. Ich empfand Mitleid mit ihm und wusste, dass es Bruder Guido ebenso erging. Wir standen still wie die Statuen da, das über diesen Familienzwist in Vergessenheit geratene Bild lag zwischen uns, und die anmutigen Figuren wurden Zeugen eines jeden Wortes, das hier fiel. Endlich brach Signore Silvio den Bann. »Guido, ich sehe dich dann am Morgen. Bis später, Signorina.«
Ich nickte, denn ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte keinen der beiden Männer erzürnen. Bruder Guido schwieg, doch sowie sein Onkel den Turm verlassen hatte und die Treppe hinunterstieg, rief er plötzlich laut: » Nein! «
Aber es war zu spät. Das Wort und das Knallen der Tür am Fuß der Treppe erfolgten im selben Moment.
Nun erwartete ich, dass Bruder Guido mich anflehen würde, meine Verabredung nicht einzuhalten, aber das tat er nicht. Er verschwand ohne ein weiteres Wort und schlug die Eichenholztür hinter sich zu. Ich rollte das Bild auf und verstaute es in meinem Mieder. Bruder Guido tat mir leid, aber ich fand es interessant, dass unter seiner Kutte noch das Herz eines Mannes und nicht das eines Eunuchen schlug. Doch ich brannte vor Verlangen, meine Börse war leer, und nichts würde mich davon abhalten, Signore Silvio aufzusuchen.
Nichts außer dem Padrone selbst, wie sich herausstellte. Ich wartete aufgeregt in meiner Kammer, ging ungeduldig auf und ab und lauerte darauf, dass die Glocke zur Laudes läutete und der Diener mich abholen kam. Ich hatte mich zwischen den Beinen mit Rosenwasser gewaschen und einen Seidenfaden zwischen meinen Zähnen hindurchgezogen, um sie von Essensresten zu säubern. Die Austern hatte ich in den mit frischem Wasser gefüllten Kupferkrug geschüttet, um sie für Bruder Guido bis zum Frühstück frisch zu halten. Doch als ich an meinem Rock schnupperte, verwünschte ich mich für diese Geste, denn er stank wie ein Fischmarkt. Ich wusch den Überrock aus und streifte stattdessen ein Seidenhemd über. Der Stoff war so dünn, dass sich mein Körper deutlich darunter abzeichnete, aber ich störte mich nicht daran - in meinem Gewerbe war es immer von Vorteil, nicht mit seinen Reizen zu geizen. Als die Glocke endlich läutete, klopfte es leise an der Tür, und ich nahm für den Fall, dass Signore Silvio selbst mich abholen kam, eine malerische Pose auf dem Bett ein. Doch statt seiner füllte Toks massige Gestalt den Türrahmen aus. Er teilte mir in seinem schwer verständlichen Toskanisch mit, Signore Silvio lasse sich entschuldigen, er sei unpässlich und müsse unsere Verabredung verschieben. Verdammt .
»Unpässlich?«, fragte ich in meinem hochmütigsten Tonfall.
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