Das Geheimnis Des Frühlings
Unterhaltung spitzte ich die Ohren, um zu hören, was bei meinem Freund nebenan vorging, aber ich konnte nur gelegentliches Stöhnen und ab und an einen unterdrückten Aufschrei vernehmen und begann mir zunehmend Sorgen zu machen. Hätte ich an der Tür irgendeines anderen Mannes auf dieser Erde gelauscht, hätte ich sofort an einen kleinen Akt der Selbstbefriedigung gedacht, aber von Bruder Guido wusste ich mit Sicherheit, dass er niemals Hand an sich legen würde. Endlich verließen die Sklavinnen den Raum, und ich presste vor Neugier brennend mein Ohr an das Holz, aber jetzt blieb alles still. Da ich fast sicher war, den Raum leer vorzufinden, hielt ich mich nicht mit Anklopfen auf, sondern trat einfach ein.
Er war da, lagerte mit der Wand zugekehrtem Gesicht auf dem prächtigen Bett. Seine Kutte lag in einem unordentlichen Haufen daneben auf dem Boden. Mir fiel auf, dass der Gürtel fehlte. Der braune Barchent sah aus wie eine abgestreifte Haut, was er in gewisser Weise auch war. Bruder Guidos Rücken glänzte vor Blut und war mit Striemen bedeckt. Und da wurden mir drei Dinge klar.
Cosa uno: Bruder Guido hatte den geknoteten Gürtel seiner Franziskanerkutte als Geißel benutzt, um sich für seine Verfehlungen zu bestrafen.
Cosa due : Ohne zählen zu müssen wusste ich, dass genau vierzig Striemen über seinen Rücken verliefen - genau so viele Male war Christus am Tag seines Todes von den Römern ausgepeitscht worden. Meine Fragen erstarben mir auf den Lippen, und ich zog mich so leise wie möglich zurück. Bruder Guido wandte dennoch den Kopf, und als er mich sah, lösten sich zwei kristallene Tränen aus seinen blauen Augen und fielen auf das seidene Bett. Lacrimae Christi. Somit kam ich zu Punkt drei.
Cosa tre : Ich hatte ihm das angetan. Ich hatte ihn wie eine
Sirene in Versuchung geführt, er hatte mich geküsst, weil er gedacht hatte, im nächsten Moment seinen letzten Atemzug zu tun, und er konnte nicht vergessen, dass er seiner Meinung nach gesündigt hatte. Ergriffen schloss ich die Tür. Ich hätte nicht gewusst, was ich sagen sollte.
5
Ich setzte mich aufs Bett und starrte aus dem Fenster auf die Bucht hinaus. Ich musste lange regungslos dort gesessen haben, denn die Glocke läutete zweimal, die Sonne ging unter, und ich begann zu frösteln. Ich redete mir ein, ich würde über die Primavera und das in dem Bild enthaltene Geheimnis nachgrübeln, doch tatsächlich kreisten meine Gedanken nur um Bruder Guido, der im Nebenraum lag und stumm litt, und das alles nur wegen dem, was ich getan hatte. Konnten wir je wieder zu unserer früheren Freundschaft zurückfinden? Oder hatte unsere Beziehung nicht wiedergutzumachenden Schaden genommen? Chi-Chi mit ihrem Optimismus und ihrem unverwüstlichen Naturell hatte mich einmal mehr im Stich gelassen. Zurückgeblieben war ein verzweifeltes junges Mädchen, das allein in seiner Kammer saß und sich quälte, ohne Trost zu finden. Luciana Vetra, heimatlos, ohne Freunde und ohne Mutter. Nie hätte ich meine Vero Madre dringender gebraucht als jetzt - ein paar liebevolle Arme, die mich umschlangen, ein sanfter Kuss auf meinen Scheitel. Dieses eine Mal sehnte ich mich nicht nach der Umarmung eines Mannes, sondern nach der einer Mutter. Nun müsst ihr wissen, falls ihr es nicht schon längst erraten habt, dass ich niemals weine; nicht mehr, seit ich ein Säugling in einer Flasche gewesen war und das Glas meine Schreie verstärkt zurückgeworfen hatte, bis meine Ohren schmerzten und ich schließlich verstummte. Aber jetzt fühlte
ich, als würden mir jeden Moment die Tränen in die Augen steigen, und obwohl das letztendlich nicht der Fall war, meinte ich, Bembos Perle würde von meinem Nabel in meine Kehle rutschen und dort stecken bleiben. Ich schluckte immer wieder hart, aber es half nichts.
Das glitzernde Diamanthalsband der Bucht unter mir verdunkelte sich, aber ich rührte mich auch dann nicht von der Stelle, als die Sklavinnen zurückkamen, um die Lampen anzuzünden. Als warmes Licht durch den Raum flutete, hörte ich eine weiche Stimme hinter mir und drehte mich endlich doch um.
Drei Frauen waren geräuschlos in die Kammer getreten, alle schwarz gekleidet wie die Krähen. Aber sie hatten alle hübsche Gesichter, fröhliche Augen und lächelten ein gespenstisch ähnliches Lächeln. In der Tat erinnerten sie mich sofort an die drei Grazien, nur dass sie lebendig waren und nicht tot, Schwarz statt Weiß trugen und so dunkelhäutig waren wie die Grazien blass.
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