Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
verschiedensten Vorwänden in die Schenke gelockt worden. Nur wie der namenlose Kleine im Keller gelandet war, erfuhr sie nicht. Sie versuchte, ihn anzusprechen und ein paar Worte aus ihm herauszubekommen, doch Will hatte recht. Der kleine Junge blieb stumm.
»Man kann doch in einer Stadt nicht einfach Kinder verstecken, ohne dass es die Nachbarn merken«, überlegte Alyss. »Habt ihr schon laut um Hilfe geschrien?«
»Haben wir längst versucht«, meinte Rose. »Nichts ist passiert. Außer dass ’n Hund zu bellen anfing.«
»Aber auf der Straße neben der Silbernen Nixe würde man uns doch sicher hören.«
»Nicht unbedingt«, behauptete Will. »Hinter der Kneipe, Richtung Fluss, liegen mehrere verfallene Lagerhallen. Da kommt nur selten jemand vorbei. Möchte wetten, die haben uns dorthin verfrachtet.«
»Manchmal kann man den Fluss sogar riechen«, meldete sich eine schüchterne Stimme, die zuvor noch nichts gesagt hatte. »Und man kann die Schiffer hören, wie sie westwärts oder ostwärts rufen.«
»Stimmt«, bestätigte Will. »Wir sind auf jeden Fall immer noch in der Nähe der Themse.«
»Nicht mehr lange«, verkündete eine Jungenstimme vonder anderen Seite des Kellers. »Wir haben ’nen Plan. Heute Abend, wenn es dunkel ist ...«
»Pst!«, wies ihn Rose zurecht. »Da kommt jemand. Das ist bestimmt die Alte mit dem Essen.«
Plötzlich bellte draußen ein Hund und dicht über ihren Köpfen erklangen schlurfende Schritte. Erst jetzt bemerkte Alyss die schmalen, hellen Streifen an der Decke. Im nächsten Moment klappte eine Falltür über ihnen auf und helles Tageslicht strömte in den Raum. Sie erkannte das Gesicht der Frau aus der Silbernen Nixe , auch wenn sie die strähnigen Haare jetzt hochgesteckt und eine Haube aufgesetzt hatte. Die Wirtin begann, alte Brotkanten und Äpfel in den Keller zu werfen. Die Kinder grapschten hungrig danach. Nur Alyss rührte sich nicht vom Fleck. Ihr war immer noch schlecht.
»Wir brauchen frisches Wasser«, forderte Will.
»Da müsst ihr bis heute Abend warten«, erwiderte die Frau griesgrämig. Danach fiel die Klappe wieder zu.
»Und wie sieht euer Plan aus?«, fragte Alyss, als die Frau gegangen war und man nur noch Schmatzen und Kauen hörte.
»Wir werden der Alten ’ne Theatervorführung liefern, wie sie noch keine gesehen hat.«
»Eine Theatervorführung?«
»Pfui Teufel!« Man konnte hören, wie Will etwas ausspuckte. »Da sind Würmer in den Äpfeln.« Er spuckte abermals, dann fuhr er fort, ihr Vorhaben zu erklären. »Wenn die Frau heute Abend unser Essen bringt, wird Rose so tun, als sei sie sterbenskrank. Falls die Alte auch nur ’nen Deut Mitgefühl empfindet, wird sie die Leiter runterlassen, um zu sehen, was mit ihr los ist. Während Rose sie dann mit ihren Fieberkrämpfen ablenkt, werde ich verduften und die Wache informieren.«
»Will ist der Älteste und Stärkste«, mischte sich der andere Junge ein. »Er kann am schnellsten rennen und kennt sich in London am besten aus.«
»Und der Hund?«, wandte Alyss ein.
»Der ist kein Problem. Wilde Köter lassen sich meist leicht ablenken. Und wir haben schon ’ne kleine Delikatesse für ihn vorbereitet, ’ne tote Ratte.«
»Was, hier gibt es Ratten?«
»Was denkst ’n du? Ist doch logisch. In ’nem Keller so nah beim Fluss gibt’s immer Ratten.«
Alyss schauderte, doch sie wollte nicht zugeben, dass sie sich vor Ratten fürchtete.
Die nächsten Stunden verbrachten sie mit Warten. Doch jedes Geräusch ließ Alyss an die Ratten denken, die den Kellerraum mit den Kindern teilten. Master Miltons Biester waren wenigstens in einem Käfig gewesen, nicht wie hier, wo sie frei herumliefen. Hin und wieder konnte man das leise Trippeln ihrer Füße auf dem Steinboden hören. Irgendwann spürte sie sogar ein Kitzeln an der Hand. Doch es war nur das Stroh, das man für die Kinder auf dem Boden ausgebreitet hatte. Allmählich verschwanden die hellen Ritzen um die Falltür. Es war dunkel geworden. Da begann der Hund zu bellen. Ein Zeichen, dass sich jemand näherte. Alyss erkannte die schlurfenden Schritte der Wirtin.
Im nächsten Augenblick stieß Rose einen lauten Schmerzensschrei aus. Er war so überzeugend, dass selbst Alyss einen Moment lang glaubte, etwas sei geschehen. Die Schritte hielten an und die Klappe wurde geöffnet. Eine Lampe und das magere Gesicht der Frau erschienen.
»Was ist ’n hier los?« Der Keller war mit einem Mal in hellesLicht getaucht. Es war so hell, dass Alyss sich
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