Das Geheimnis des goldenen Salamanders (German Edition)
Da kommst du heute mit ’nem Karren nicht mehr rüber.«
»Hab ich auch gar nicht gesagt, dass ich über die Brücke will«, hatte der Mann gekontert. »Wir werden unten drunter durchfahren.«
»Bist du jetzt total verrückt geworden? Ist doch viel zu gefährlich.«
»Und? Hast du vielleicht ’ne bessere Idee? Dank deiner Dummheit bleibt uns gar nichts anderes übrig. Na los! Dalli, dalli! Hol Pete, bevor der Junge mit dem Wachmann im Schlepptau zurückkehrt.«
»Der Kapitän wird sicher ausrasten. Du kennst ihn doch selber.«
»Na, daran hättest du früher denken sollen, bevor dir der Junge entwischt ist.«
»Aber ...«, begann sich die Frau zu verteidigen, doch der Mann fuhr ihr über den Mund.
»Halt’s Maul! Oder soll ich dich zu den Gören stecken? Na los. Geh schon und sag Pete, dass er unten am Fluss auf uns warten soll.«
Es dauerte nicht lange, bis die Frau von ihrem Botengang zurückgekommen war und sie und der Wirt die Kinder, eins nach dem anderen, aus dem Keller geholt hatten.
»Lasst mich sofort los«, hatte Alyss lautstark gefordert, als sie an der Reihe war und der kräftige Mann sie die Leiter hochgeschleppt hatte. »Und gebt mir endlich meinen Salamander zurück.«
Doch der Wirt hatte nur gelacht. Er hatte dem Mädchen einen alten Lappen in den Mund gestopft und einen Sack über den Kopf gestülpt. Alyss, die immer noch die Nachwirkungen des Betäubungsmittels spürte, war es plötzlich schlecht geworden. Der Lappen hatte ekelhaft geschmeckt und im Sack hatte es nach feuchter Erde und verfaulten Rüben gerochen. Trotzdem durfte sie sich auf keinen Fall übergeben. Mit dem Knebel im Mund würde sie dabei sicher nur qualvoll ersticken. Sie hatte schreien wollen, aber es war ihr nur gelungen, tonlos zu stöhnen.
Erst als sie angefangen hatte, wild um sich zu schlagen, hatte jemand ihre Hände grob hinter den Rücken gezogen und ihre Handgelenke mit einem Strick umwickelt. Mit den Füßen war das Gleiche geschehen, wobei das Seil schmerzhaft in ihre Haut geschnitten hatte.
Danach hatten sie zwei kräftige Hände gepackt, die sie wie einen Sack über eine Schulter geschwungen hatten. Alyss hatte gespürt, wie sie fortgeschleppt wurde. Dass sie wie wild mit den gefesselten Beinen gekickt hatte, schien ihren Träger nicht gestört zu haben. Immer wieder hatte sie versucht,den Knebel auszuspucken, doch sosehr sie auch ihre Zunge bewegt und gewürgt hatte, der eklige Lappen saß fest. Es war ausweglos. Schon wenig später wurde sie unsanft mit einem lauten Plumps auf etwas Hartem abgeladen.
Unter ihr hatte es zu schwanken begonnen, doch als sie mit ihren gebundenen Händen den Boden abgetastet hatte, hatte sie gleich gemerkt, dass es sich um die feuchten Planken eines Ruderboots handelte. Dem Wirt war es ernst gewesen. Er wollte tatsächlich die Passage unter der Brücke wagen. Alyss schauderte. Sie hatte das Holzbrett nicht vergessen, das in der reißenden Strömung unter der Brücke auf und ab gehüpft und schließlich untergetaucht war.
Von Jack hatte sie erfahren, wie schwierig es war, ein Boot unter den Brückenbögen durchzusteuern, und wie viele Boote dabei kenterten. Sein eigener Vater war unter der Brücke ertrunken. Alyss wollte keinesfalls das gleiche Schicksal erleiden und hatte begonnen, mit ihren gefesselten Beinen auf den Boden zu trommeln. Doch außer dass sie sich dabei selber Schmerzen zufügte, erreichte sie nichts.
Schon im nächsten Augenblick hatte sich das Boot schaukelnd in Bewegung gesetzt. Plötzlich hatte ihr Herz zu rasen begonnen. Sie hatte nach Luft schnappen wollen, doch mit dem Sack über dem Kopf kam sie sich wie ein Fisch an Land vor. Obwohl ihr schrecklich heiß geworden war, hatte sie am ganzen Körper zu zittern begonnen.
Das Letzte, was sie gehört hatte, waren die Ruder, die leise quietschend rhythmisch ins Wasser tauchten. Danach hatte sie das Bewusstsein verloren. Von der gefährlichen Passage im reißenden Wasser unter dem Brückenbogen hatte sie nichts mitbekommen. Als sie wieder aufgewacht war, hatten die Häscher die drei Mädchen bereits im Unterdeck des großen Segelboots verstaut.
Alyss rieb sich die Knöchel. Sie konnte die Einschnittstellen des Stricks immer noch spüren. Wenigstens hatten sie die Fesseln gelöst und Sack und Knebel entfernt. Vermutlich wussten sie genau, dass es für ihre Gefangenen ohnehin keinen Fluchtweg gab. Alyss musste an die Jungen denken.
»Meint ihr, die Jungs sind auch hier an Bord?«, fragte sie kurz darauf.
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