Das Geheimnis des Himmels
von ihm gelesen. Okkulte Schriften meide ich eher, nicht nur, weil sie in zweifelhaftem Ruf stehen, sondern weil ich eher an luziden Wissenschaften interessiert bin“, Bernhardi sprach alles ohne den Hinterton eines Vorwurfes aus.
„Ja, die helle und klare Wissenschaft. Auch die, sei versichert, ist mein Thema. Aber es gibt offenbar eine Beziehung zwischen Verborgenem und Offenbarem. Es könnte sogar sein, dass dies nur Erscheinungsweisen ein und desselben Gegenstandes sind. Im Übrigen kann ich nicht alles, was dieser hochverehrte Autor von sich gibt, teilen. Er hängt mir zu sehr an platonischen Kategorien und vermengt heidnische mit göttlichen Wahrheiten. Aber seine Beschreibung des Wesens der Elemente hat auch eine praktische Bedeutung für die Alchemie. Ich versuche durch Experimente herauszufinden, inwieweit sich diese Erkenntnisse in praktische Ergebnisse ummünzen lassen.“
Auerbach sprach leise und vorsichtig. Seine kurz aufgeflammte Begeisterung, etwas von dem zeigen zu dürfen, was ihn bewegte, war einer gewissen Anspannung gewichen. Nicht dass er Bernhardi misstraute, aber von einer Grundsympathie zueinander abgesehen, hatten sie bis jetzt noch nicht wirklich ihre tiefsten Überzeugungen ausgetauscht.
„Hier arbeite ich gerade an der Verwandlung der Elemente, wenn auch nicht erfolgreich. Irgendwas entbehrt noch einer ausreichenden Bestimmung, na ja, manchmal hilft ja auch der Zufall, auch wenn der in der Alchemie eigentlich keine Rolle spielt“, erklärte Auerbach verschmitzt seinem staunenden Kollegen. Ob dessen Verwunderung allerdings durch die Ansammlung wundersamer Gerätschaften oder durch die nicht minder wundersame Begründung seines Kollegen ausgelöst wurde, war ihm selbst nicht klar.
Ohne eine Antwort Bernhardis abzuwarten, fuhr Auerbachfort: „Viele behaupten, dass in dieser Wissenschaft die Magie – oder vielmehr die schwarze Magie – am Werke sei. Das ist ausgemachter Unsinn. Allerdings glauben ebenfalls nicht wenige, den Alchemisten sei nur an der Vermehrung ihres Besitzes gelegen und sie würden sich hauptsächlich mit der Verwandlung unedler Stoffe in Gold beschäftigen. Leider hat dieser Vorwurf eine gewisse Berechtigung, auch in meinem Zirkel sind es nicht wenige, die sich darin betätigen. Als Entschuldigung muss ich aber hinzufügen, dass bei vielen meiner Kollegen die blanke Not herrscht – die Hoffnung auf Gewinn ist also verständlich. Einer hat sich sogar bei seinem Fürsten so hoch verschuldet, dass er sich darauf eingelassen hat, binnen einer festgesetzten Zeit Gold herzustellen, andernfalls landet er im Schuldturm … Wie du siehst: Auch hier kommt die reine Wissenschaft nie so ganz rein vor, sondern ist immer mit den Übeln des Alltags behaftet. Verfasser wie Agrippa haben immer versucht, sich davon nicht beeindrucken zu lassen, sondern sich der reinen Sache zu widmen.“
Dann sah er seinen Kollegen an und bemerkte: „Übrigens hat sich Agrippa auch mit Luther und seiner Lehre beschäftigt!“
„Womit deutlich wird, dass wir zwar an unterschiedlichen Orten, aber doch an einem gemeinsamen Problem arbeiten“, antwortete Bernhardi. „Ich habe inzwischen die Disputationsthesen zu den 95 Thesen gelesen. Und auch die Schrift
Von der Freiheit eines Christenmenschen
. Ich bin erschüttert. Hier ist eine neue Welt entstanden. Wenn es stimmt, was dieser Kollege aus Wittenberg da schreibt, dann ist unsere römische Kirche, zumindest in ihrer heutigen Form, ein reines Menschenfündlein und entbehrt in fast allen Dingen einer hinreichenden Begründung. Ich habe vorher nie wirklich verstanden, wie ein so gelehrter Mann wie dieser Doktor der Theologie, auch wenn er nur ein Mönch ist, gegen einen grundsätzlich freien Willen sein kann. Immer stellte ich dagegen, dass nur der freie Wille ein verantwortbarer und zur Verantwortung zu ziehender Wille sei. Aber Luther meint ja gar nicht den freien Willen, dies oder das zu tun, sondern dass der freie Wille sich nicht die Gnade Gottes verdienen kann. Und ich las bei Paulus nach und fand es Punkt für Punkt bestätigt! Das heißt weiter, dass selbst die heilige Kirche niemals über Heilsmittel verfügt, die sie nach eigenem Gutdünken über die Menschen austeilen könnte. Weil selbst die Heiligen noch genauso Sünder vor Gott waren wie wir. Und deshalb haben sie auch keine überschüssigen guten Werke erbracht, die die Kirche glaubt, verwalten zu können. Das ist, mit Verlaub, ein himmelweiter Unterschied zur philosophischen
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