Das Geheimnis des Himmels
geblieben. Ich habe meine Beziehungen und habe mich nach Euch erkundigt. Dabei stellte ich fest, dass Eure Mutter Elisabeth Bernhardi ist, eine Frau, die mit mir und anderen Bürgerinnen und Bürgern zusammen für die Errichtung von Schulen für Mädchen und Jungen hier im Lande und in der Stadt kämpft. Etwas, das nicht ganz leicht ist, da es im Rufe steht, eine Forderung dieses Luthers zu sein. Nicht alles kann so schlecht an seiner Lehre sein, das habe ich bereits gemerkt, aber das ist nur schwer zu vermitteln. Aber was rede ich da, Ihr habt ganz andere Sorgen! – Entschuldigt, es wird Zeit, dass ich mich vorstelle, ich bin Friedrich von der Aue, Student beider Rechte an der hiesigen Universität. Ich hatte auch bereits das Vergnügen, Euren Vater in der Logikvorlesung erleben zu dürfen. Zu meinem Unglück ist mir bis zu unserer letzten Begegnung entgangen, dass zur Familie Bernhardi auch mehrere schöne Töchter gehören. Aber jetzt bitte ich Euch, lasst uns zu Eurer Mutter gehen. Sie muss erfahren, was geschehen ist, und sie braucht Beistand, genau wie Ihr und Eure Schwester.“
Die weinenden Mädchen ließen sich widerstandslos zu ihrem Elternhaus führen. Elisabeth kam ihnen bereits entgegen. Sie hatte das Läuten der Glocken gehört und war, von innerer Unruhe getrieben, auf die Straße gelaufen, um zu erfahren, was dieser Alarm zu bedeuten hatte. Erschrocken erblickte sie ihrebeiden völlig aufgelösten Töchter – dazu noch in Begleitung eines jungen Mannes.
Als die Mädchen ihre Mutter sahen, rissen sie sich von Friedrichs Hand los und stürmten zu Elisabeth, wieder hemmungslos weinend. In diesem Moment wusste Elisabeth, dass ihr Leben nicht mehr so sein würde wie zuvor.
9
Bernhardi saß auf der harten Marmorbank unter dem gotischen Gewölbe und sah sich interessiert das Gemäuer an. Hier hat also meine Elisabeth ihre Schulzeit verbracht, dachte er bei sich. Aus einem Raum klang helles, fröhliches Mädchenlachen. Dann hallten eilige Schritte durch den langen Flur. Ein vornehm gekleideter Mann mittleren Alters begrüßte ihn.
„Gestatten, Eccius, Reinhard Eccius. Ich vermute, Ihr seid Magister Bernhardi, der Ehemann unserer ehemaligen Schülerin Elisabeth. So hat man es mir wenigstens gemeldet.“
Bernhardi stand auf und deutete eine Verbeugung an.
„Ganz recht, Leonhard Bernhardi. Ich bin erfreut, Euch anzutreffen, und dankbar, dass Ihr die Zeit erübrigen konntet, mich zu empfangen.“
„Aber das ist doch selbstverständlich. Elisabeth war eine gute Schülerin, manchmal etwas wild, aber sie wusste immer genau, was sie wollte und konnte. Und sie ist eine der wenigen, die unsere Bildungsanstalt nach dem Verlassen nicht vergessen hat. Für Eure Unterstützung sind wir sehr dankbar. Aber kommt doch mit, wir müssen nicht auf dem Gang sprechen.“
Mit diesen Worten führte Eccius ihn an vielen Türen vorbei bis zu einem stattlichen Raum am Ende des Ganges. Eccius bot seinem Gast einen bequemen sesselartigen Stuhl an.
„Ich nehme an, dass Euer Besuch nicht nur den Grund hat, zu sehen, in welcher Umgebung Elisabeth ihre Schuljahre verbracht hat. Ihr wollt Euch gewiss selbst einen Eindruck verschaffen, ob die Zuwendungen der Familie Bernhardi gut angelegt wurden? Oder sucht Ihr für eine Eurer Töchter eine fundierte pädagogische Ausbildung?“
Bernhardi glaubte, bei seinem Gegenüber eine kleine Unsicherheit bemerkt zu haben. Vielleicht lag es daran, dass Eccius um das Ansehen des Stifts besorgt war. Fürchtete er eine Kürzung der Stiftsgelder? Oder irritierte ihn der ungewöhnliche Umstand, dass ein Magister der Philosophie seine Aufwartung machte, der vielleicht in geheimem Visitationsauftrag unterwegs war? Es konnte nicht schaden, ihn wenigstens ein wenig in diesem Glauben zu belassen.
„O nein, wenn es aber einmal notwendig sein sollte, komme ich gerne auf Eure Einrichtung zurück. Elisabeth empfand ihre Jahre hier als eine glückliche und gute Zeit.“ Bernhardi versuchte zu schmeicheln, um Eccius für sich zu gewinnen. Falls dieser einmal den wahren Grund seiner Anwesenheit erfahren sollte, dann war es besser, den Eindruck eines unauffälligen und seriösen Gebildeten hinterlassen zu haben. Dann fuhr er fort: „Wie Ihr wisst, haben Elisabeth und ich uns bei Euch nach Herrn Dr. Praetorius senior erkundigt. Ihr wart so freundlich, uns mitzuteilen, dass Dr. Praetorius inzwischen verschieden ist, dass aber sein Sohn Andreas Praetorius Eurem Hause noch als Lehrkraft zur Verfügung
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