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Das Geheimnis des Himmels

Das Geheimnis des Himmels

Titel: Das Geheimnis des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Schoch
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sich darin äußerte, dass meine Augen ihre Kraft verloren, die Worte und Buchstaben der Texte, mit denen ich mich im Übermaß beschäftigte, mit hinreichender Klarheit wahrzunehmen. Dieser Mangel verstärkte sich, und im Alter von sechzehn Jahren erschien es unausweichlich, mir eine Hilfe anzuschaffen, mit der ich weiterhin ohne Beeinträchtigung meine Studien betreiben konnte
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    So fand es sich, dass mein Vater mich mit auf eine Reise nach Nürnberg nahm, eine Stadt, die durch die große Geschicklichkeit ihrerMechanici und Optici bekannt ist. Dort begleitete er mich in eine solche Werkstatt und ich geriet ins Staunen über die herrlichen, mir bisher völlig unbekannten Dinge, die ich dort erspähen durfte. Es gab dort Lesesteine aus Glas, mit deren Hilfe man, durch Auflegen auf die Schrift, dieselbe deutlich größer und klarer zu entziffern vermochte. Kristallglas ließ das Sonnenlicht in allen Farben funkeln, und in einer Ecke der Werkstatt wurden Glasbrocken bearbeitet. Wie mir der Meister später erklärte, wurden sie geschliffen und poliert
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    Ich wurde als Empfänger eines dieser teuren Doppelgläser vorgesehen, die, durch die Nase gehalten, es mir erlauben sollten, die Worte und Buchstaben wieder in einer ähnlichen Klarheit wie früher zu sehen. Allerdings bedurfte es mehrerer Sitzungen, bis der Opticus die richtigen Gläser in die für mich zugedachte Form bringen konnte
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    Bei jedem Besuch erkundigte ich mich mit immer größer werdender Neugier nach all den herrlichen Gerätschaften, die ich dort erblickte. Vor allem eines ließ mich nicht los, die Frage, wie es möglich war, mithilfe eines Glases die Dinge größer zu sehen. Wieder zu Hause, verbrachte ich jede freie Minute mit der Durchsicht der mir bekannten Texte der Alten, um zu überprüfen, was sie zu der Klärung dieser Frage beitragen konnten
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    Und so fand ich bei Aristoteles Röhren beschrieben, die, wenn sie die Distanz zwischen Augen und erschautem Objekt überbrückten, diese klarer erscheinen lassen. Als ich daraufhin ein solches Rohr anfertigte, bemerkte ich nichts dergleichen, im Gegenteil, statt die Dinge heller und klarer zu zeigen, erschienen sie mir verdunkelt. Ich konnte meine Enttäuschung nicht darüber verbergen, dass der große Meister hier anscheinend geirrt habe und dieser Irrtum wohl darauf zurückzuführen sei, dass dieser selbst nicht die Probe angestellt habe, um seine Lehre zu bestätigen
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    Einen anderen Weg fand ich bei Seneca beschrieben: Buchstaben, wie dunkel und klein sie auch sein sollten, sähe man durch eine mit Wasser gefüllte Glaskugel größer und heller
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    Lange habe ich gebraucht, um in den Besitz einer solchen Glaskugelzu gelangen. Als ich endlich die Probe machen konnte, fand ich die Aussage des Philosophen bestätigt. Wie konnte Wasser im Glas oder Glas alleine eine solche Wirkung haben? Dieses Phänomen zu klären, würde von nun an die ganze Kraft meines Geistes in Anspruch nehmen
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    Die erstaunlichste Stelle fand ich jedoch bei Roger Bacon, etwa hundert Jahre in der Zeit zurück. Er beschreibt die Wirkung zweier hintereinandergestellter konvexer Linsen, sodass Dinge, die weit entfernt liegen, nahe erscheinen und umgekehrt. Es können durchsichtige Medien so für das Auge angeordnet werden, dass wir Dinge in der Ferne sehen können. Ja, wir würden Sonne und Mond gleichsam vom Himmel herabziehen können
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    Leider fand ich nichts mehr über erfolgreiche oder misslungene Versuche, diese Behauptung auch zu beweisen. Und so entschloss ich mich, mich von nun an selbst ganz der Lösung dieses Rätsels zu widmen. Sehr zum Leid meiner Eltern erstand ich immer neue Sorten von Gläsern und versuchte, ihnen alle möglichen Formen zu geben, um das Geheimnis des Größersehens zu lüften
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    Darüber ergab sich ein Zerwürfnis mit meinen Eltern. Sie waren erbost, dass ich nicht mehr für die üblichen Studien zu gebrauchen sei, und versuchten, unter Androhung einschneidender Veränderungen der Umstände meines Lebens, mir meine Forschungen aus den Augen zu treiben
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    Bernhardi kam hier an das Ende eines Kapitels und seines vorbereiteten Textes. Er war auf eine solche Lebensgeschichte nicht vorbereitet. Sie erfüllte auch nicht die großen Erwartungen, die er in diesen Text gelegt hatte. Was konnten Versuche mit Glas und Wasser denn Umstürzlerisches oder gar Gefährliches zur Folge haben, dachte er bei sich. Aber wenigstens konnte er Einhard jetzt schon etwas präsentieren. Dazu hatte er gleich am nächsten Tag

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