Das Geheimnis des Himmels
ich das auch. Allein dadurch, dass wir nur fünfzig Prozent unserer geistigen Kapazitäten ausnutzen, indem wir das Geschlecht, das wir zwar das „schöne“ nennen, aber nur als unvollkommene Ausgabe des Mannes ansehen, von den Wissenschaften ausschließen.“
Bernhardi wurde zusehends munterer und fuhr fort: „Dann wollen wir doch mal sehen, ob sich Elisabeths Gedanke in die Tat umsetzen lässt. Nehmen wir die kommende Nacht?“
Auerbach ging das zu schnell. „Nicht so eilig! Ich frage mich, ob es überhaupt eine gute Idee ist, nachts damit anzufangen.“
„Warum nicht?“
„Weil wir, wie du weißt, neuerdings einen sehr akkuraten Nachtwächter haben. Ich bin mir nicht sicher, ob er mir noch einmal eine solch abenteuerliche Geschichte abnehmen würde.“
Das schien für Bernhardi kein Problem zu sein. „Er darf uns eben nicht noch mal erwischen.“
Auerbach war noch nicht überzeugt. „Wie sollen wir das ausschließen? Immerhin brauchen wir eine Menge Licht, um gefahrlos nach oben zu steigen. Und oben können wir auch nicht im Dunkeln suchen. Man kann zwar vom Turm hervorragend weit sehen, nehme ich an, aber wir können genauso hervorragend selbst gesehen werden.“
„Was schlägst du also vor?“
Jetzt hatte Auerbach die entscheidende Idee: „Wir machen es am Tage.“
Bernhardi verstummte. „Am Tage? Bist du sicher? Wie sollen wir das anstellen? Und überhaupt … ist die Kirche während der übungsfreien Zeit nicht verschlossen?“
„Du bist doch sonst nicht um Ideen verlegen. Erstens: Wir brauchen nicht in die Kirche, um auf den Turm zu gelangen. Man hat damals, zur Zeit der Feuerwachen, einen separaten Eingang angebaut. Glücklicherweise liegt er ziemlich verborgen hinter Büschen und Bäumen, vielleicht ist er sogar schon ganz zugewachsen. Zweitens: Sind wir erst einmal im Treppenhaus, sollte es hell genug sein, um ohne Fackeln oder Lampen auszukommen. Dann sind wir von außen nicht zu erkennen. Und drittens: Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, wenn ein Magister sich tagsüber in der Nähe der Universität aufhält.“
„Das klingt überzeugend. Kannst du an den Schlüssel gelangen?“
„Selbstverständlich. Während der Ferienzeit muss jeder der Kollegen eine Woche lang die Aufsicht über die Gebäude übernehmen. Rate mal, wer diese Woche dran ist …“
„Ich wollte, alle Rätsel wären so leicht zu lösen!“
Am frühen Nachmittag verbargen sich die beiden Magister unter dem vorgezogenen Dach eines stolzen Bürgerhauses in der Nähe des Kirchturms. Sie beobachteten eine Weile die Passanten. Bei dem warmen Spätsommerwetter hielten sich nichtviele Menschen auf dem Platz auf. Dann war der Augenblick gekommen. Als niemand mehr in der Nähe des Turmes zu sehen war, schritten Bernhardi und Auerbach mit festen Schritten auf den Außeneingang des Turmes zu. Er war tatsächlich hinter wucherndem Gestrüpp kaum zu erkennen und wurde zudem noch von einer großen Kastanie verdeckt.
Bernhardi drehte sich noch einmal um und stellte erleichtert fest, dass ihnen niemand gefolgt war. Auerbach zog unterdessen den rostigen Schlüssel aus seinem Wams und steckte ihn ins Türschloss. Zunächst blieben seine Versuche, ihn umzudrehen, ohne Erfolg.
„Verflucht!“
„Ruhig, Einhard, lass mich mal probieren!“
Bernhardi brauchte eine Weile, bis er endlich Erfolg hatte. Leider war ein lautes, knarrendes Geräusch nicht zu vermeiden gewesen, und so schauten sich beide erneut um, bevor sie sich ins Innere des Kirchturms begaben.
Sie schlossen die Tür hinter sich und blieben kurz stehen, bis ihre Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Der Eingangsbereich war mit allerlei Gerümpel zugestellt. Der Staub, der auf allem lag, verriet ihnen allerdings, dass schon lange kein Mensch mehr diesen Raum betreten hatte. Das war ungemein beruhigend. Auerbach zeigte auf einen Durchlass im hinteren Bereich. Von dort aus führte eine enge Wendeltreppe nach oben. Die beiden nickten sich aufmunternd zu.
Zu ihrer Überraschung war es im Treppenbereich tatsächlich hell genug, um gefahrlos die Stufen zu betreten. An den Wänden waren schmale Öffnungen, durch die das Sonnenlicht hereinfiel. Sie stiegen nach oben, bis sie zu einer Holztür gelangten, die ihnen den Weg versperrte.
„Das muss der Eingang zum Glockenraum sein“, meinte Auerbach. „Da es keine weiteren Schlüssel gibt, hoffen wir, dass die Tür offen ist.“ Mit einem kräftigen Ruck drückte er gegendas Holz. Die Tür klemmte zwar
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