Das Geheimnis des Himmels
in dem es um das Heil und die Erlösung des Menschen ging – und nicht um so etwas Profanes wie die äußere Beschaffenheit der Welt zu erklären. Selbst in den wunderbaren Erzählungen der Genesis hatte er nie den Eindruck gehabt, irgendein anderes Thema finden zu sollen, als das über den Menschen und sein Verhältnis zu Gott.
Die Häupter der Kirche mochten darin einen Angriff auf ihre unantastbaren Positionen sehen. Rechtfertigte das jedoch die gewaltsame Unterdrückung von Erkenntnissen über den wahren Zustand der Welt? Sollten die weltlichen Mächte tatsächlich Interesse daran haben, die Erde als zentralen Mittelpunkt des Universums zu betrachten – weil sich die weltliche Macht aus der geistlichen ableitete?
Auerbach nahm einen Schluck Wein. Dann kehrte er wieder zu Bernhardis Aufzeichnungen zurück. Seltsam, die Venus zeigte auf den Skizzen eine deutliche Sichelgestalt, ähnlich wie die des Mondes. So etwas hatte noch kein Mensch zuvor gesehen.Welche wunderbaren Entdeckungen würden dieser Erfindung noch zu verdanken sein?
Blitzartig überfiel ihn ein Gedanke, den er unbedingt festhalten musste. Er nahm ein neues Blatt Papier aus der Schublade und begann eine Skizze. Die Sonne stellte er in den Mittelpunkt und ließ Merkur und Venus auf kreisförmigen Bahnen um sie herumziehen. Als nächsten Planeten zeichnete er die Erde auf ihrer Bahn außerhalb des Orbits der Venus ein. Dann versuchte er darzustellen, welche Art von Beleuchtung der Venus in einem solchen System von der Erde aus zu erwarten wäre – je nachdem, wie die Himmelskörper zueinander standen. Und seine Idee bestätigte sich: Von der Erde aus gesehen müssten dann die inneren Planeten wie Merkur und Venus regelmäßig die gleichen Sicheloder Phasengestalten zeigen, wie es beim Mond der Fall ist.
Und noch etwas müsste sichtbar werden: Die Größe der inneren Planeten wäre unterschiedlich zu erwarten, je nachdem, ob sie sich zwischen Erde und Sonne oder – von der Erde aus gesehen – hinter der Sonne befänden. Aber um das zu überprüfen, wären Beobachtungen über einen längeren Zeitraum nötig. Hoffentlich, seufzte Auerbach, würde ihnen diese Zeit geschenkt werden. Wenn sich dann zeigen sollte, dass es sich so verhielte wie in seiner plötzlichen Eingebung, dann wäre das mit der Behauptung des Kopernikus deutlich einfacher in Einklang zu bringen als mit dem komplizierten System von Epizykeln und Deferenten eines Ptolemäus oder seiner Epigonen. Ein wirklicher Beweis für die Lehre des Kopernikus wäre es zwar immer noch nicht, aber wieso sollte die komplizierteste Hypothese immer die richtige sein?
Jäh wurde er aus seinen Überlegungen gerissen, denn er hörte ein lautes Poltern an seiner Haustür. Eilig raffte er die Aufzeichnungen seines Freundes zusammen, verbarg sie in seinem Gewand, hastete aus dem Arbeitszimmer und öffnete die Tür. Laute Männerstimmen schlugen ihm entgegen.
„Eilt und bringt Eimer mit Wasser mit. Es brennt! Wir brauchen jede Hand!“
Und schon zogen die Männer weiter durch die Dunkelheit. Jetzt erst bemerkte Auerbach, dass auch die Glocken läuteten. Nicht als Ruf zum Gottesdienst, sondern als Feueralarm.
Der Magister mühte sich, dem Strom der Menschen zu folgen, was mit den zwei Eimern Wasser, die er eilends herbeigeschafft hatte, recht anstrengend war. Der Weg, den die Menge nahm, kam ihm bekannt vor. Und richtig, schon näherten sie sich dem Haus der Bernhardis, dessen Dachstuhl bereits lichterloh brannte. Es schien unmöglich, hier noch etwas retten zu wollen. Einzig das Übergreifen des Feuers auf die Nachbarhäuser musste verhindert werden.
Inzwischen hatte sich eine lange Kette gebildet. Immer neue Kübel mit Wasser wurden nach vorne weitergereicht. Auerbach war ein Glied in der Kette und arbeitete fieberhaft. Dabei hatte er Gelegenheit, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Dass dieses Feuer nicht zufällig ausgebrochen war, lag auf der Hand. Das Haus stand seit der Flucht der Bernhardis leer. Noch hatte sich niemand als Käufer dafür interessiert. Anscheinend wollten diejenigen, die dort schon einmal eingebrochen waren, ganze Arbeit leisten. Wenn sich noch irgendwelche Dokumente im Hause befunden hätten – jetzt wären auch sie vernichtet. Auerbach wurde bewusst, dass sich Bernhardi in höchster Lebensgefahr befand. Und auch er selbst würde nicht mehr lange als Unbeteiligter gelten.
Krachend stürzte der Dachstuhl des Hauses ein. Der Luftzug, der dabei entstand, schürte das Feuer
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