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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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Kalligraphieschule an seine Feinde, die Fanatiker, verraten, noch bevor es offiziell bekannt wurde. Und Radi, der sympathische Geselle, hat mich gewarnt, weil er gehört hat, dass Meister Hamid und sein Assistent Samad mich verdächtigen. «
    »Dich als Christ! Wie können sie bloß so dumm sein zu glauben, dass du mit den radikalen muslimischen Fanatikern unter einer Decke steckst. Aber sei beruhigt, mein Mann ist als Ehemann unmöglich, aber er ist ein kluger und behutsamer Mensch. Ich bete nicht, die Sache ist wahrscheinlich ein grober Scherz. Du wirst sehen«, sagte sie zum Abschied, bevor sie auflegte.
    Salman arbeitete etwa eine Stunde, dann aber wurde er so unruhig und unkonzentriert, dass er seine Hefte und Zettel in der Schublade verstaute und die Haarspange in die Hosentasche steckte. Als er seine Zimmertür öffnete, um hinauszugehen, wäre er beinahe vor Schreck gestorben, denn in diesem Augenblick kam Karam wieder durch die Tür: »Irgendwie habe ich heute keine Lust, im Café zu sitzen, da dachte ich, ich kehre zurück und mache uns etwas zu essen. Du hast genug gearbeitet«, sagte er und grinste kalt.
    »Vielen Dank, aber ich muss nach Hause. Meine Mutter fühlt sich unwohl«, sagte Salman und hatte zum ersten Mal Angst vor Karam.
     
    Draußen war die Abendluft kühl. Die Straßenbahn fuhr durch das abendliche Damaskus und er fand, dass die Stadt ein anderes Gesicht hatte als am Tag. Die Leute waren in Eile. Beladen mit Einkaufstüten, voller Pläne, freudig und müde zugleich liefen sie durch die Straßen.
    Einen Augenblick lang vergaß er, dass er in einer Straßenbahn saß. Er kam sich wie in einem Karussell vor, das sich an beleuchteten Zimmern, bunten Läden, fröhlichen Kindern und vom Gewicht der Jahre gebeugten alten Frauen und Männern vorbeidreht. Er schloss für einen Augenblick die Augen. Als er sie wieder öffnete, schaute er direkt in das lachende Gesicht eines betrunkenen Mannes. Dieser drehte sich um und fragte den Fahrer laut: »Fährst du heute nach Argentinien?«
    Der Fahrer schien den Mann zu kennen: »Nein, heute nicht. Wir fahren nach Honolulu und erst am 30. Februar wieder nach Argentinien«, rief er zurück.
    Nur wenige Fahrgäste fuhren wie Salman ins Zentrum der Stadt. Dort stieg er in eine andere Straßenbahn, die nach Bab Tuma im christlichen Viertel fuhr. Sie war ziemlich voll und Salman war froh, dass er einen Sitzplatz fand. Männer und Frauen in feierlichen Kleidern scherzten auf dem Weg zu einem Fest miteinander.
    Der teuflische Glanz in Karams Augen ging ihm nicht aus dem Sinn. Er fragte sich, warum der Freund plötzlich ein solches Interesse an den Geheimnissen des Kalligraphen hatte. Aber gerade als er darüber nachdenken wollte, fuhr die Straßenbahn mit voller Wucht in eine Kurve. Der Fahrer, angesteckt durch die feierliche Gesellschaft, begann mit ihnen zu singen und drückte den Schalthebel bis zum Anschlag. Eine schöne, ziemlich beleibte Frau konnte sich nicht festhalten und landete lachend auf Salmans Schoß. Auch andere lagen sich plötzlich in den Armen. Der Fahrer sah die schwankenden Fahrgäste im Rückspiegel, bremste und wirbelte die kreischende Menge vergnügt durcheinander.
    »Der arme Junge, du zerdrückst ihn noch«, rief ein Mann in einem schönen dunkelblauen Anzug und mit roter Nelke im Knopfloch.
    »Ach, was! Er vergnügt sich«, widersprach ein anderer in feierlicher Uniform.
    Die Frau versuchte kichernd, von Salmans Schoß wegzukommen. Er genoss den Duft ihres Parfums, eine Mischung aus Zitronenblüten und reifen Äpfeln, als ihre Wange kurz sein Gesicht streifte. Er saugte den Duft in sich auf. Die Frau stand nun wieder und sah Salman verlegen an.
    Es sollten Jahre vergehen, bis er den teuflischen Glanz in Karams Augen wieder vor sich sah. Nur mit Mühe konnte er in Gedanken zu dem Paradies zurückkehren, dessen Geschmack er in Nuras Armen gekostet hatte. Auch an die abendliche Straßenbahnfahrt konnte er sich erinnern, und da verstand er, warum der Teufel Karams Augen jenen Glanz verlieh.
    In der Nacht nach seiner abenteuerlichen Straßenbahnfahrt erfuhr Salman, dass Schimon, der Gemüsehändler, nach Israel geflüchtet war. Warum nur? In den folgenden Tagen schaute er von seinem Fenster aus immer wieder zu Schimons Zimmer hinauf und hoffte, Licht zu sehen. Aber es blieb dunkel.
    Erst einen Monat später mietete ein Ehepaar die Zweizimmerwohnung. Und der Vermieter des Ladens jammerte noch Jahre später, dass Schimon ihm die Miete von drei

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